Öl auf Leinwand, doubliert, 46 x 55,5 cm, gerahmt. Unten rechts schwarz signiert und datiert C. Pissarro/ 90.
J. Pissarro/Durand-Ruel Snollaerts 901; L.-R. Pissarro/Venturi 752
Der Verbleib des Werkes, das in dem älteren Catalogue Raisonné von Venturi mit dem Titel "Les Prés de Bazincourt, Soleil Couchant" aufgenommen war und auch im neueren Werkverzeichnis (Wildenstein Institut, Paris 2005) nur im schwarz-weißen Fotodokument des Händlers Durand-Ruel übernommen werden konnte, war lange Zeit offenbar unbekannt.
Corot war einer der ersten Malerfreunde, die Pissarro als angehenden Künstler mit den wesentlichen Grundlagen, wie er sie verstand, vertraut machte. Das Malen nach der Natur, die Wiedergabe atmosphärischer Lichtstimmungen, das Umsetzen der Beobachtungen in differenzierte "valeurs" der reinen Farbe, waren für Pissarro, der mit Claude Monet und Paul Cézanne zu den großen Vätern des französischen Impressionismus gehört, die neuen Ausgangspunkte. Die Bedeutung des Motivs spielte eher keine Rolle, im Gegenteil, je einfacher und schlichter der Bildgegenstand, desto wesentlicher die Art der künstlerischen Umsetzung. Hier fand auch Paul Cézanne, mit Pissarro eng befreundet, seinen entscheidenden Anknüpfungspunkt. Pissarro hatte sich zu Beginn der 1880er Jahre aus Paris zurück in die nördlich gelegene Landschaft von Gisors, nach Éragny-Bazincourt, zurückgezogen. Das bäuerliche Leben und die ländliche Umgebung werden ein zentrales und für ihn sehr typisches Thema, so auch in dem vorliegenden Werk aus später Werkphase.
Die Farbigkeit des geradezu "klassisch" gewordenen Motivs der Weide mit grasenden Kühen ist wohltuend differenziert, im Detail durchaus kräftig, aber in der Tonalität insgesamt gedämpft. Eine kühlere atmosphärische Stimmung scheint eingefangen, die an feuchte, dämmernde Abende im Mai oder Juni erinnert: der Himmel ist leicht verschleiert, die Sonne dunstig, aus den Wiesen steigt zarter Nebel. Zu der reichen Palette der Grüntöne kontrastieren die feinen Lagen von violetten, bläulichen und rötlichen Pinselzügen, die den Wiesenhorizont beschreiben und die in der Tönung des Himmels ihre Entsprechnung finden. "Pissarro war in diesen Jahren besonders von den jahres- und tageszeitlichen Übergängen fasziniert, und seine Palette weist eine Vielzahl pastelliger Töne auf, die an das changierende Farbspiel von Perlmutt erinnern. [...] Diese Bilder entfalten ihren stillen Reiz erst nach einiger Zeit, als wollte er seine Beharrlichkeit bei der Beobachtung der Natur auf den Betrachter übertragen." (Christoph Becker, Camille Pissarro, Impressionist, in: Ausst. Kat. Camille Pissarro, Staatsgalerie Stuttgart 2000, S. 111).
Auffällig ist der lineare, nicht in Flächen angelegte, Pinselduktus, der mit seinen Parallell- oder Kreuzlagen in den Vegetationsmotiven fast an zeichnerische Verdichtungen erinnert. Pissarro erprobt hier nach seiner pointillistischen Phase wieder eine stärkere Lockerung und Homogenisierung durch das Setzen längerer Pinselzüge, die stellenweise gerade im Verschleifen der Details den diffusen Licht- und Naturstimmungen gut entsprechen können. Andererseits gibt der geführte Duktus dem Motiv eine unmerkliche innere Stabilität, die die Meisterschaft dieses Impressionisten begründet.
Mag die vorherrschende Thematik der Bilder Pissarros mit seinen Dorfansichten, den Herden, Hirten und Weiden, den Nußbäumen und den Erntemotiven uns einerseits fern und unwiederbringlich retrospektiv anmuten, so goutiert der Kulturmensch und Städter heute die Natur durchaus wieder: Wohl manchmal aus eher behüteten Distanzen, museal, etwa wie in dem bekannten Beispiel der Fondation Beyeler in Riehen, wo man versunken in lange weiße Sofas durch große Scheiben auf ein Landschaftspanorama blicken kann. Weidende oder lagernde Kühe im hohen Gras mit spielenden Ohren sind ein treffliches, ein für Auge und Gemüt wohltuendes und sehr friedliches Bild.
Catalogue Raisonné
J. Pissarro/Durand-Ruel Snollaerts 901; L.-R. Pis
Provenance
Durand-Ruel (vor 1891 erworben); Galerie de l'Élysée, Paris (von Durand-Ruel 1941 gekauft); Privatbesitz Schweiz, seitdem in Familienbesitz