Die Sammlung Renate und Tono Dreßen

Sammler europäischen Kunsthandwerks des 18. Jahrhunderts sind heute selten geworden; dies gilt für Möbel, Uhren, Glas, Fayence, Steinzeug, Silber, Gold und Porzellan gleichermaßen. Nachdem viele deutsche Kunstgewerbemuseen in den letzten Jahren ihre historischen Bestände mehr und mehr in die Depots verbannten, um neue Akzente etwa im Bereich der Mode oder auf anderen Gebieten zu setzen, begann auch hier der Hype auf das Zeitgenössische und eine Überbewertung der Gegenwartskunst wie des modernen Designs.

Dieser aktuellen Entwicklung entgegenzuwirken, gehört zu den klassischen Aufgaben derjenigen Museen, die Schätze des Kunsthandwerks der Vergangenheit besitzen, denn ihr viel beschworener Bildungsauftrag beinhaltet schließlich auch die Vermittlung von Wissen über die ausgestellten Kunstwerke. Wer aufmerksam die einschlägigen Kataloge der großen Auktionshäuser studiert, wird nicht nur sinkende Preise, sondern auch ein immer schmaler werdendes Angebot beim historischen Kunsthandwerk feststellen. Als Folge des nachlassenden Interesses finden kaum noch Ausstellungen zu diesem Themenbereich in den Museen statt, und Bücher mit neuen Forschungsergebnissen, zum Beispiel über Meißener Porzellan, können nur noch mithilfe von Sponsoren publiziert werden.

In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg sah die Situation dagegen ganz anders aus. Der allmählich einsetzende Wirtschaftsaufschwung ermöglichte vielen Unternehmern einen kultivierten Lebensstil, zu dem auch das Sammeln von Kunst gehörte. Besonders die Baubranche, die vom Wiederaufbau in den stark zerstörten deutschen Städten profitierte, brachte es schon bald zu neuem Wohlstand, der nach Darstellung verlangte. Dr. Ernst Schneider, der als Industrieller schon vor dem Krieg mit dem Sammeln von Meißener Porzellan des 18. Jahrhunderts begonnen hatte und nach dem Krieg seine Sammlung wesentlich vergrößerte, wurde zum Vorbild für viele neue Sammler. Wie kein anderer beschrieb er die Bedeutung des Sammelns von Kunstwerken für sein Leben: „Es ist ungut, nur und ständig im Sinne der Nützlichkeit zu denken, denn das führt schließlich zur Einseitigkeit und Sterilität. Es gehört eigentlich zur geistigen Gesundheit, als Gegengewicht die Kultur in sein persönliches Wesen einzubeziehen als eine andere nicht unwesentliche Seite, die den Charakter ausmacht und formt.“

Wie bei Ernst Schneider stand auch bei den Münsteraner Sammlern, dem Bauunternehmer Tono Dreßen und seiner Ehefrau Renate Dreßen, an erster Stelle die Begeisterung für das Porzellan, das zur kulturellen Bereicherung deren Leben beitrug. Das Geschenk einer historischen Meißener Kaffeetasse eines Onkels von Renate Dreßen legte den Grundstein für das Interesse an der Geschichte des ältesten europäischen Hartporzellans, das auf die Erfindung des Alchemisten Johann Friedrich Böttger im Jahr 1708 in Dresden zurückgeht. Von der Fortüne des Forschers, die richtige Rezeptur für das seit Langem von den Chinesen hergestellte Porzellan gefunden zu haben, geht heute noch eine starke Faszination aus. Bei so manchem provoziert sie den Wunsch, durch den Besitz der frühen Werke der Meißener Manufaktur an dieser genialen Erfindung indirekt teilzuhaben und sich immer wieder an der unvergleichlichen Schönheit und Perfektion zu erfreuen. Der schlichten weißen Form eine hochartifizielle Gestalt gegeben und eine von feinster Ornamentik in Gold und bunten Farben umgebene Miniaturmalerei geschaffen zu haben, ist der große Verdienst der Meißener Künstler. Eine scheinbar niemals enden wollende Vielfalt der Formen und Dekore – von den Kopien ostasiatischer Vorbilder bis hin zu eigenständigen Kreationen – prägt signifikant das frühe Meißener Porzellan, das in sinnlich veranlagten Menschen schnell die Leidenschaft zu erwecken vermag.

So fällt es dem Sammler-Ehepaar zu Beginn häufig schwer, sich für das eine oder andere lukrative Angebot zu entscheiden. Vom Schönsten jeweils das Beste zu erlangen, ist der primäre Gedanke vieler. Doch schon bald kommt die Einsicht, dass dies weder ideell noch materiell machbar ist und man wie ein Jäger geduldig auf seine Chance warten muss. Wenn sich dann schließlich der Erfolg einstellt und man stolz seine Trouvaille nach Hause trägt, dann zeigt die Familie nicht immer das erhoffte Verständnis für die kostbare Erwerbung. Aber die meisten Sammler lassen sich davon nicht beirren, sondern gehen konsequent ihren Weg: Der eine spezialisiert sich auf bestimmte Bereiche, der andere versucht ein möglichst breites Spektrum abzudecken, um sich an der Vielfalt und Abwechslung zu ergötzen. Renate und Tono Dreßen gehören eher zu den Letzteren. Zwar besitzen sie weniger Figuren und Gruppen, dafür aber faszinieren sie vor allem die Kaffee-, Tee- und Schokoladengeschirre sowie die Tafelservice, bei deren Entwicklung Meißen vorbildhaft für andere, später entstandene Manufakturen wirkte und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts stets den Ton angab.

Von den frühen Chinoiserien Johann Gregorius Höroldts, den Hafenszenen Christian Friedrich Herolds und den Ideallandschaften Johan George Heintzes, den fantasievollen und farbprächtigen Fabeltieren, Insekten und Vögeln Adam Friedrich von Löwenfincks über sogenannte Bataillen und Jagdszenen bis hin zu der exquisiten Blumenmalerei besitzt die Sammlung alles, was die Manufaktur an Glanzleistungen hervorgebracht hat. Ein besonderer Höhepunkt unter den Erwerbungen war für den Bauunternehmer Tono Dreßen und seine Frau Renate wohl eine Teekanne mit Laubwerkhenkel und -ausguss, die auf einer der beiden Schauseiten den Blick auf eine Ideallanschaft freigibt, und in deren Vordergrund zwei Maurer, auf einem Gerüst stehend, mit dem Errichten eines Gebäudes aus Sandstein beschäftigt sind (Lot 657). Der Ankauf dieses exzellenten Einzelstücks, noch dazu mit einer solchen persönlichen Beziehung, dürfte zu den Sternstunden deren Sammeltätigkeit gehören. Bei den Tafelgeschirren finden sich opulente Beispiele wie Teile aus dem berühmten Schwanenservice des sächsisch-polnischen Ministers Heinrich Graf von Brühl oder anderer Adelsservice mit dem entsprechenden Wappendekoren.

Trotz der Fülle und Vielfalt – die Sammlung umfasst circa 500 Teile Meißener Porzellans – bleibt doch jedes Teil ein Einzelstück, an dem auch eine besondere, manchmal auch spannende Geschichte des Erwerbs hängt. Denn so manches Mal musste sich das Sammler-Ehepaar bei Auktionen einem Bietergefecht stellen, um schließlich zu erkennen, dass sie sich vielleicht zu sehr von ihrer Leidenschaft haben leiten lassen und einen hohen Preis akzeptieren mussten. Aber was am Ende zählt, ist nicht der materielle Aufwand, sondern die Lust am Sammeln, die Freude am Schauen und Entdecken und der unbezahlbare kulturelle Gewinn. So konnten Tono und Renate Dreßen auch ein herausragendes Meisterwerk der Meißener Porzellankunst erwerben, in dem Formgestaltung und gemalter Dekor eine harmonische Synthese eingegangen sind: ein Uhrgehäuse in Rocaillenform mit einer bekrönenden Figur der Jagdund Mondgöttin Diana und farbenfrohen Watteau- Szenen auf den drei Hauptansichten von Johann George Heintze. Möge das Uhrwerk für die Sammler und deren Leidenschaft noch lange die Stunden schlagen und die Kunst ihre Herzen erfreuen!

Autor: Prof. Dr. Ulrich Pietsch, Director i. r. of the Porzellansammlung der Staatlichen Kunstsammlung Dresden

Literatur

Ernst Schneider cited from coll. cat. Schneider Lustheim 2004, p. 5.