Aenne Biermann

Aenne Biermann – Die Kinder weckten das Interesse an der Fotografie

Aenne Biermann wurde am 3. März 1898 in Goch am Niederrhein als Anna Sibylla Sternefeld geboren. Das dritte Kind einer jüdischen Fabrikantenfamilie wuchs in begüterten Verhältnissen auf und begann erst nach der Hochzeit mit dem ebenfalls jüdischen Kaufhausbesitzer Herbert Biermann und der Geburt der beiden gemeinsamen Kinder mit dem Fotografieren. Zunächst richtete Aenne Biermann ihr Objektiv vor allem auf ihre Kinder und verschiedene familiäre Anlässe aus, dann rückten Pflanzen und Alltagsgegenstände in den Fokus ihres Interesses. Schließlich bat sie der Geologe Rudolf Hundt darum, möglichst präzise Fotografien seiner Gesteinssammlung zu machen. Durch die fortwährende Übung erreichte Biermann eine immer größere handwerkliche Meisterschaft, aber eine wirkliche fotografische Ausbildung erhielt sie nie, so dass sie zeitlebens eine Autodidaktin blieb. Zwar hatte ihre Familie ihre musischen Neigungen früh erkannt und gefördert, sie bekam Klavierunterricht und wuchs in einer kultivierten und kunstinteressierten Umgebung auf; an eine Karriere als Künstlerin war aber nicht zu denken.

Die Entdeckung der »Poesie der Dinge« als Markenzeichen

Aenne Biermann kam während ihrer Lehrjahre nie in Kontakt mit den Fotokünstlern ihrer Zeit, sondern war, anders als ihre berühmten Kolleginnen Lucia Moholy, Germaine Krull und Florence Henri, bei der Entwicklung ihres fotografischen Stils ganz auf sich selbst gestellt. Trotz oder wegen dieser Einschränkungen gelang es Aenne Biermann, den Personen und Dingen aus ihrem Alltag eine eigene Poesie zu entlocken. Ihre Bilder im Kontext von »Neuer Sachlichkeit« und »Neuem Sehen« weckten schließlich das Interesse des Kunstkritikers Franz Roh, der eine erste Einzelausstellung im Graphischen Kabinett von Günther Franke in München organisierte und die Publikation ausgesuchter Bilder in der damals einflussreichen Kunstzeitschrift Das Kunstblatt ermöglichte. In der Folge erhielt Aenne Biermann Einladungen zur Teilnahme an zahlreichen wichtigen Ausstellungen, ihre Bilder erschienen in weiteren bedeutenden Fachzeitschriften und wurden mit Auszeichnungen prämiert. Sehr bald galt Aenne Biermann als eine der herausragenden Protagonistinnen der fotografischen Avantgarde in Deutschland.

Eine neue fotografische Perspektive

Aenne Biermann entwickelte neue fotografische Perspektiven insbesondere auf die Architektur, wählte für Porträts und Aktaufnahmen ungewöhnliche Ausschnitte und schuf so eine Vielzahl von wegweisenden Bildern, die selbst für die Augen moderner Betrachter noch modern wirken. Die glänzende Karriere, die vor Aenne Biermann lag, wurde durch eine schwere Lebererkrankung vorzeitig beendet: Die Fotografin starb am 14. Januar 1933 in Gera. Wenige Tage später übernahmen die Nationalsozialisten die Regierungsmacht und beschlagnahmten das gesamte fotografische Archiv Aenne Biermanns, das in den Kriegswirren verloren ging, während ihre Familie vor der zunehmenden Verfolgung nach Palästina floh. An die Fotokünstlerin erinnert heute der Aenne-Biermann-Preis für deutsche Gegenwartsfotografie, den das Geraer Museum für Angewandte Kunst seit 1992 alle zwei Jahre vergibt. Auch eine Volkhochschule und ein Triebfahrzeug der Straßenbahn sind in Gera nach ihr benannt. Aenne Biermanns Geburtsstadt Goch benannte im Jahr 2020 eine Straße nach ihrer berühmten Tochter.