John Gerrard

Hightech-Computer als Pinsel und Leinwand

John Gerrard wurde am 20. Juli 1974 geboren. Bereits während seines Studiums an der Ruskin School of Drawing and Fine Art an der Universität von Oxford experimentierte er mit 3D-Scannern, um plastische Bildwerke zu schaffen. In Chicago und Dublin setzte er diese Versuche fort und konnte schließlich auf der Ars Electronica in Linz seine ersten in Echtzeit berechneten dreidimensionalen Computerkompositionen präsentieren. Diesem Stil blieb John Gerrard in den folgenden Jahren treu, er nutzte die höchstmöglichen technischen Errungenschaften des Menschen, um dem Menschen selbst und seiner Gesellschaft mit künstlerischen Mitteln auf den Grund zu gehen. Es wirkt wie eine feine Ironie, dass die aufwendigen 3D-Routinen, die er für seine Kunstwerke einsetzt, ursprünglich für das US-Militär und dessen Kriegssimulationen entwickelt wurden. Die Videospielindustrie, einer der größten Geschäftszweige des 21. Jahrhunderts, hat diese Technologie übernommen und in Milliardenumsätze verwandelt – aber der Ansatz von John Gerrard ist vollkommen neu, übersetzt Krieg und Kommerz in Kunst.

Die langwierige Suche nach den passenden Puzzleteilen

Wenn John Gerrard den Computer die Arbeit tun lässt, dann könnte das als einfacher und schneller Prozess missverstanden werden, als programmierter Automatismus, bei dem der Künstler nur den einen oder anderen Knopf zu drücken braucht. Die Realität sieht indes anders aus: Die Kunst von John Gerrard ist unerhört aufwendig, vergleichbar dem Drehen eines Films, nur dass hier in aller Regel ein Mann allein für alle Schritte verantwortlich zeichnet. Umfangreiche Recherchen stehen am Anfang, ehe auch nur ein Bit berechnet wird, muss sich der Künstler auf die Suche begeben. Bilder, Strukturen, Gegenstände – oft besteht ein Projekt John Gerrards aus Tausenden von Elementen, fotografische Dokumentationen von Oberflächen, Einzelheiten und Umgebungen, die John Gerrard in mühevoller Kleinarbeit am Computer zusammensetzt und modelliert, der Arbeit eines analogen Bildhauers durchaus vergleichbar.

Kein Stillstand, sondern simuliertes Leben

John Gerrard entwickelt seine Kunstwerke nicht willkürlich, sondern an den Gegebenheiten und Erfordernissen der wirklichen, der analogen Welt entlang. Das Digitale als Spiegel des Analogen, wie in seinem Werk Western Flag (Spindletop, Texas), das eine Flagge aus endlos quellendem schwarzen Rauch zeigt. Vielleicht war sie einmal das Nationalsymbol Amerikas, zeigte die stolzen Stars and Stripes, aber davon ist jetzt nichts mehr zu sehen. Stattdessen erblickt der Betrachter die Anspielung auf eine versiegte Ölquelle in Texas, ein gespenstisch anmutendes Bild, das eine seltsame Unruhe ausstrahlt. Ist es das Gespür für die vergehende Größe einer in sich zerrissenen Weltmacht? Die Werke John Gerrards sind keine vorgefertigten Filme oder animierten Bilder, sie sind vollgültige Computersimulationen, die auf Jahreszeiten und Lichtverhältnisse Rücksicht nehmen und sich im Einklang mit den natürlichen Gegebenheiten verändern. Die Veränderung ist der Kunst John Gerrards immanent, das Werk bleibt nicht dasselbe, sondern entwickelt sich – im Falle der Serie Smoke Tree sind die dargestellten Bäume so realistisch simuliert, dass sie ganz allmählich ihre Lebenskraft verlieren. In 300 Jahren soll eines der Bilder einen gefallenen Baum zeigen – die Überprüfung dieser Behauptung und das abschließende Urteil über die Kunst John Gerrards fällt damit einer zukünftigen Generation zu.

John Gerrard lebt und arbeitet heute abwechselnd in Dublin und Wien.