Alicja Kwade

Alicja Kwade - Studium der bildenden Kunst in Berlin

Alicja Kwade, Jahrgang 1979, gehört zu den spannendsten Künstlerinnen ihrer Generation. Daran war kaum zu denken, als sie im Alter von acht Jahren mit ihrer Familie aus dem polnischen Katowice nach Hannover in Deutschland zog. Allerdings wurde ihr die Neigung zur Kunst in die Wiege gelegt: Der Vater betätigte sich als Kulturhistoriker und Galerist, die Mutter war Kulturwissenschaftlerin. Von 1999 bis 2005 studierte sie an der Universität der Künste in Berlin bei Dieter Hacker und Christiane Möbus. Studium und Lebensunterhalt finanzierte Alicja Kwade mit verschiedenen Nebenjobs: Sie sortierte Schuhe, arbeitete als Security-Kraft, als Elefantenpflegerin und synchronisierte Pornofilme. Dabei eignete sie sich eine praxisverbundene Tüchtigkeit an, die sie mit zunehmendem künstlerischen Erfolg immer stärker benötigte: Alicja Kwade ist nicht nur kreative Schöpferin, sondern auch Managerin, die einen beträchtlichen logistischen Aufwand stemmen muss, um ihre oft aufwendigen und raumgreifenden Installationen umzusetzen.

Die Realität als eine Möglichkeit von vielen

Alicja Kwade sieht die bildende Kunst heute als ihren Lebensinhalt und ihre Berufung, aber auch als Handwerk und organisatorische Herausforderung. Obwohl sich ihre Arbeiten gerade in jüngerer Zeit häufig mit komplexen philosophischen und naturwissenschaftlichen Fragestellungen auseinandersetzen, versteht sich Alicja Kwade nicht als spirituell veranlagt. Die anerkannte Realität wird bis an ihre Grenzen hinterfragt und auf die Probe gestellt. Kwade zerlegt die Welt in ihre kleinsten Teile und bewahrt doch das Geheimnisvolle, das der Mensch nicht durchdringen kann. Für eine ihre Arbeiten ließ die Künstlerin ein vollständig ausgelesenes menschliches Genom auf 314.000 Papierseiten ausdrucken – eine gewaltige Lektüre, die doch kaum etwas preisgibt. Die rational fassbare Erkenntnis, dass der Mensch aus nur 24 Elementen besteht, führte zu der Installation Selbstporträt, bei der die betreffenden chemischen Elemente in 24 Glasampullen präsentiert werden. Dazu wird aus 24 Lautsprecherboxen den Herzschlag der Künstlerin übertragen. Die Wirklichkeit bleibt im Schaffen der Künstlerin ein nicht zu entschlüsselndes Geheimnis, eine Möglichkeit von vielen, die immer kurz davor steht, in eine andere Richtung umzuschlagen.

Vorliebe für pure Materialien und Symbolik

Alicja Kwade wählt ihre Materialien nicht zufällig aus, vielmehr erblickt sie in jedem Material eine konkrete Symbolik. Besonders gern verwendet sie reine Materialien wie Stein, Holz, Kupfer, Kohle und Gold. Auch Gegenstände des Alltags finden aufgrund ihres symbolischen Werts Eingang in die Kunst Alicja Kwades. Manchmal kann sich die Künstlerin angesichts der unbegreiflichen Realität nur verstecken: Für ihr Selbstporträt als Geist zog sich Kwade ein Bettlaken über den Kopf und ließ sich in dieser Vermummung einscannen. Das Ergebnis war eine Bronzeskulptur, die ihr entmaterialisiertes Ich zur Anschauung brachte. Immer wieder behandelt Kwade in ihren Arbeiten auch das Motiv des Doppelgängers. Für ihre Kunst erhielt Alicja Kwade Preise und Auszeichnungen, darunter 2010 den Robert-Jacobsen-Preis, 2015 den Hector-Kunstpreis der Kunsthalle Mannheim und 2019 den Berliner Bär (Kulturpreis der Boulevardzeitung B.Z.). Ihre Werke waren unter anderem im New Yorker Museum of Modern Art und auf der Biennale von Venedig zu sehen.

Die Künstlerin lebt und arbeitet in Berlin. Mit ihrem Partner, dem Designer Gregor Hildebrandt, hat sie einen gemeinsamen Sohn Horatio. Den Spagat zwischen selbstständiger Künstlerin und Arbeitgeberin sowie Mutter empfindet sie als schwierig.