Richard Misrach

Richard Misrach, geboren 1949 in Los Angeles, Kalifornien, ging 1967 nach Berkeley, wo er an der University of California zunächst Mathematik studierte und im Anschluss seinen Bachelor of Arts in Psychologie erwarb. Als Student erlebte er die Proteste gegen den Vietnamkrieg aus nächster Nähe mit und begann, die Ereignisse mit seiner Kamera zu dokumentieren. In dieser Zeit erlernte er auch die Grundlagen des fotografischen Handwerks, das er später zu großer Meisterschaft führen sollte. Für sein erstes großes Fotoprojekt fotografierte Richard Misrach die Obdachlosen auf der Telegraph Avenue in Berkeley. Diese Bilderserie war im International Center of Photography zu sehen und wurde in dem preisgekrönten Buch Telegraph 3 AM publiziert. Die künstlerische Anerkennung stellte den jungen und ehrgeizigen Fotografen jedoch kaum zufrieden; vielmehr fühlte sich Richard Misrach in seiner Hoffnung, dass seine Bilder zu einer Verbesserung der Lebensverhältnisse der Obdachlosen beitragen würde, betrogen und fasste frustriert den Entschluss, keine Menschen mehr zu fotografieren.

Richard Misrach fotografierte eine Zeit lang nur menschenleeren Wüsten Südkaliforniens, Arizonas und Baja Californias in Mexiko, teilweise auch nachts unter Zuhilfenahme von Blitzlicht. Bei der Entwicklung experimentierte er mit unorthodoxen Drucktechniken und veröffentlichte die Ergebnisse 1979 in einem Bildband, der ohne ein einziges Wort Begleittext auskam. Die Wüstenfotografien gelten als Hauptwerk des Künstlers, der sie in Anlehnung an den amerikanischen Dichter Ezra Pound (1885–1972) als Desert Cantos (›Wüstengesänge‹) bezeichnete. Für Richard Misrach steht die Wüste als das perfekte Sinnbild für die schwierige Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt. Dieser Haltung entsprechend zeigen Misrachs Bilder nicht einfach idyllische Wüstenlandschaften, sondern thematisieren Kritisches und Denkwürdiges: Militärische Test- und Trainingsstandorte in der Wüste sind häufig auf seinen Fotografien zu sehen, dazu Autorennen, Massengräber von Tieren und sogar zerfledderte Ausgaben des Magazins Playboy, die von US-Soldaten für Schießübungen in der Wüste verwendet worden waren.

Richard Misrach trug mit seinem Werk maßgeblich dazu bei, dass die großformatige Farbfotografie in den 1970er und 1980er Jahren an Akzeptanz und Popularität gewann, obwohl er damit zunächst den Erwartungen an die Kunstfotografie zuwiderlief. Zu seinem künstlerischen Erfolg gehört auch das kluge umweltpolitische Konzept, das hinter seinen Bildprojekten steht: Mit ihrer visuellen Verführungskraft lenken seine Bilder den Blick auf Missstände wie die oft verheerenden Auswirkungen menschlicher Eingriffe in die Natur. Das spannungsgeladene politische Klima nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2016 dokumentierte Richard Misrach durch eine Serie unkommentierter Fotografien von Graffiti-Nachrichten auf verlassenen Gebäuden. In Zusammenarbeit mit der Architektin Kate Orff zeichnete er die Auswirkungen der petrochemischen Verschmutzung entlang des Mississippi nach. Richard Misrach hat in seiner künstlerischen Arbeit zwei Extreme bis aufs Äußerste ausgereizt und miteinander verbunden: das Politische und das Ästhetische. Damit hat er die Kunstfotografie um einen einzigartigen Aspekt bereichert.