Friedrich Seidenstücker

Friedrich Seidenstücker - Beruf Ingenieur, Berufung Bildhauer und Fotograf

Friedrich Seidenstücker wurde am 26. September 1882 in Unna geboren. Schon als Kind entdeckte er seine Liebe zur Fotografie und baute sich, gerade einmal 13 Jahre alt, aus einer Laterna Magica einen improvisierten Fotoapparat, mit dem er seine ersten Bilder knipste. Trotzdem wollte er zunächst nicht Fotograf werden, sondern Bildhauer. Allerdings blieben ihm anfangs beide Wege versperrt und er begann ein Maschinenbaustudium in Hagen, das er später in Berlin fortsetzte. Die Vorlesungen an der Königlich-Technischen Hochschule Charlottenburg tauschte der junge Student jedoch viel zu häufig gegen Besuche im Berliner Tiergarten, um vor Käfigen und Gehegen zu zeichnen. Während des Ersten Weltkriegs arbeitete Friedrich Seidenstücker zwar noch als Konstrukteur bei der Potsdamer Zeppelin-Bau AG, aber schon 1918 begann er an der Hochschule für bildende Künste bei dem Bildhauer August Gaul ein Studium der Bildhauerei. Mit seinem Lehrer verband ihn die Begeisterung für Tiere als Motiv.

Ein Fotograf mit Freude an Schalk und Albernheiten

Friedrich Seidenstücker brauchte mehrere Jahre, um sich endgültig einzugestehen, dass er als Bildhauer keine Zukunft hatte. Immer wieder war er auf die finanzielle Unterstützung seiner Familie angewiesen, um sich über Wasser zu halten. Schließlich strich er die Bezeichnung Bildhauer von seiner Visitenkarte und konzentrierte sich ganz auf seine Arbeit als freier Fotograf. Seine Motive fand er bei ausgedehnten Spaziergängen durch Berlin – und natürlich bei Besuchen im Zoo. Dabei bewies Friedrich Seidenstücker einen ganz eigenen Blick auf seine Umwelt. Ein freundlicher, ein verschmitzter Blick, der die kleinen Augenblicke, die amüsanten Konstellationen, das eigentlich Unbemerkte und Unwichtige, das den Alltag liebenswerter macht, in den Mittelpunkt stellt. Es gelang dem Künstler, Dinge sichtbar zu machen, die sonst keine Aufmerksamkeit finden – er war damit der Twitter- und Instagram-Generation um viele Jahrzehnte voraus. Damit fand Friedrich Seidenstücker durchaus sein Publikum und konnte zeitweise auch von seinem Honorar gut leben, doch musste er sich in Summe mit sehr bescheidenen Lebensverhältnissen zufriedengeben.

Ein Spaziergänger mit eigenwilliger Kamera

Friedrich Seidenstücker tat sich in der Tristesse des Zweiten Weltkriegs immer schwerer, auf der Straße Motive zu finden. In Nazideutschland blieb wenig Raum für Freundlichkeit und Schalk. Ohne die Unterstützung seiner Familie wäre er einmal mehr vor dem Nichts gestanden, so aber konnte er sich zumindest in seine Zwei-Zimmer-Wohnung zurückziehen, wo er sich als Fotograf seiner zweiten großen Leidenschaft neben den Tieren widmete: Er lud sich junge Frauen ein, drapierte sie nackt neben seinen großen Kachelofen und fotografierte. Den Bildern haftet neben aller schamhaften Sinnlichkeit auch etwas Begeistert-Voyeuristisches an. Erst nach dem Krieg wagte sich Friedrich Seidenstücker mit seiner Kamera wieder nach draußen – und fand in den Ruinen der zerbombten Stadt wieder jene Spuren des Lebens, die er während der NS-Diktatur so schmerzlich vermisst hatte. Die spektakulären Zerstörungen interessierten ihn nicht, er fotografierte jetzt die kleinen Facetten des beginnenden Wirtschaftswunders. Als origineller Chronist banaler Skurrilitäten und großartiger fotografischer Flaneur wird er in den letzten Jahren wiederentdeckt.

Friedrich Seidenstücker starb am 26. Dezember 1966 in West-Berlin.