Gerardo Dottori - Paesaggio collinare - image-1

Lot 5 D

Gerardo Dottori - Paesaggio collinare

Auktion 1155 - Übersicht Köln
19.06.2020, 18:00 - Moderne und Zeitgenössische Kunst - Evening Sale
Schätzpreis: 35.000 € - 45.000 €

Gerardo Dottori

Paesaggio collinare
Um 1925-1930

Öl auf Leinwand 63,5 x 43,5 cm Unter Glas gerahmt. Unten links rot signiert 'Dottori'. - Rückseitig mit dem Etikett und dem Stempel der Galleria Artecentro, Mailand, darauf mit der Archiv-Nr. 9182 versehen. - In der oberen Bildpartie mit einem retuschierten kurzen Riss, rückseitig mit Leinwandflicken alt hinterlegt.

Eingefangen in schmalem Hochformat ist der Betrachterblick aus großer Höhe auf eine hügelige Landschaft und eine kleine Stadt gelenkt. Die Verbindung zwischen Land und Stadt bildet ein Gewässer, Fluss oder See, das die Bildfläche in gezackten Formen teilt und rhythmisiert. Die zu einem Rund abstrahierten Strukturen der Stadt wiederholen sich in den flachen halbrunden Hügelformen und Strukturen des Himmels wie konzentrische Kreise. Alles rundet sich vor dem Betrachterauge, als sei ihm aus übergroßer Entfernung schon die Erdkrümmung erkennbar und der Horizont weise bis ins Universum.
Gerardo Dottori antizipiert mit seinen frühen Werken die Aeropittura, eine aus dem Interesse und der Begeisterung für Maschinen im italienischem Futurismus erwachsene Phase, die diese um Flug, Flugzeuge und extraterrestrische Themen bereichert. Wie Enrico Crispolti es beschreibt, dient die Aeropittura auch als visuelle Metapher für die Transzendenz des Geistes in eine höhere Bewusstseinsebene. Dottori kombiniere, so Crispolti, die Sprache der Avantgarde und der Realisten mit seinen Aufsichten aus großer Höhe auf eine lebendige Szenographie von stilisiert geometrischen und kristallinen Formen. (vgl. Crispolti 1989, op.cit., S. 168 f.). Der Futurismus umfasst bildende Kunst - Malerei und Plastik -, Literatur und Musik. Gerardo Dottori, der in Perugia die Kunstakademie absolviert, als Dekorateur arbeitet und sich auch schriftstellerisch betätigt, derselbe Dottori, der anfänglich in divisionistischer Manier symbolistische Motive malt, trifft 1911/1912 Giacomo Balla und tritt der futuristischen Bewegung bei. Allerdings ohne den Enthusiasmus der Futuristen nimmt Dottori am I. Weltkrieg teil, währenddessen er sich weiter künstlerisch betätigt. An verschiedenen Gruppenausstellungen und der Gründung der Zeitschrift „Griffa!“ beteiligt, erfährt seine Arbeit die erste Resonanz von Kritikern 1920. 1924 wird er mit einem Werk der Aeropittura als erster Futurist zur Ausstellung auf die Biennale in Venedig eingeladen, was sich bis 1942 regelmäßig wiederholt. 1942 ist ihm dann sogar ein eigener Pavillon gewidmet. In Ostia/Rom gestaltet Dottori 1929 den Flughafen mit futuristischen Motiven aus der Luftfahrt und unterzeichnet zusammen mit Balla, Marinetti und anderen im selben Jahr das „Manifesto dell' Aeropittura“. Hier heißt es unter § 4, dass die Motive, wenn sie aus großer Höhe gemalt sind, nicht mehr detailliert, sondern synthetisiert und transfiguriert dargestellt werden, denn § 5 folgend, alle Teile einer Landschaft dem Maler im Flug zusammengedrückt, künstlich und provisorisch erscheinen, aber auch - § 6 - dicht, sparsam, elegant und grandios. Im § 8 ist festgelegt, dass ein malerisches oder plastisches Werk polyzentrisch angelegt sein soll. (vgl. Viviana Birolli, I Manifesti del Futurismo, Mailand 2008, S. 200).
In der zwischen Abstraktion und Realität ausgewogenen Landschaft Dottoris verbinden sich wie vor dem Auge eines Piloten Geschwindigkeit und Höhe; es verschieben sich die Intervalle von Raum und Zeit.

Werkverzeichnis

Duranti 426 (hier irrtümlich in die 1930er Jahre datiert)

Zertifikat

Mit einer Expertise von Massimo Duranti, Archivi Dottori, Perugia, vom 10. März 2011 und einer Foto-Expertise von Massimo Duranti, Galleria Artecentro, Mailand, vom 7. März 2004 (Archiv-Nr. 9182)
Für wertvolle wissenschaftliche Hinweise danken wir Silvia Vacca und Silvia Bignami, Mailand

Provenienz

Privatsammlung Mailand

Literaturhinweise

Enrico Crispolti, Aeropittura. Futurista. Aeropittori, Modena 1985, S. 113 ff.; Enrico Crispolti, Second Futurism, in: Emily Braun (Hg.), Italian Art in the 20th Century, München/London 1989, S. 168 f.; Ezio Godoli (Hg.), Il Dizionario del Futurismo, Florenz 2001, S. 397 ff.; Ausst. Kat. Milano Anni Trenta, Mailand 2004/2005, S. 64 f.; Ausst. Kat. Post Zang Tumb Tuum. Art Life Politics, Italia 1918-1943, Mailand 2018, S. 53 ff.