Giovanni Pietro Rizzoli, genannt Giampietrino - Madonna mit Kind (Madonna della mela) - image-1

Lot 1508 Dα

Giovanni Pietro Rizzoli, genannt Giampietrino - Madonna mit Kind (Madonna della mela)

Auktion 1209 - Übersicht Köln
19.11.2022, 11:00 - Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen 14.-19. Jh.
Schätzpreis: 70.000 € - 80.000 €

Giovanni Pietro Rizzoli, genannt Giampietrino

Madonna mit Kind (Madonna della mela)

Öl auf Holz. 51,5 x 40 cm.

Cristina Geddo hat das vorliegende bisher unveröffentlichte Werk als eigenhändiges Gemälde von Giampietrino, dem talentiertesten und produktivsten Mailänder Schüler Leonardos, anerkannt. Das Gemälde, das aus einer Schweizer Sammlung des frühen 20. Jahrhundert stammt, ist der Forschung bisher unbekannt gewesen und taucht nach rund hundert Jahren auf dem Markt auf. Die kleine Tafel, wahrscheinlich für die private Andacht bestimmt, ist eine eigenhändige Replik von einer der gelungensten Kompositionen Giampietrinos und eine interessante Ergänzung seines Œuvres.
Vor einer offenen Landschaft hält die Madonna, die sich nach vorne wendet, den Jesusknaben fest im Arm: Das Kind schaut zur Mutter, diese wiederum blickt mit einem zarten Lächeln zum Betrachter. Der Hintergrund ist zum Teil mit einem dickeren Impasto gemalt. Im Kontrast zu dem weichen Sfumato der Figuren ist der Schleier auf der Stirn der Madonna in seiner Transparenz besonders schön wiedergegeben. Das Kind, das einen Apfel in der Hand hält, ist als "neuer Adam" und Erlöser der Menschheit in ihrer Erbsünde dargestellt, (1) während der Berg im Hintergrund, der die Form von weiblichen Brüsten hat, an das Thema der Maria Lactans anknüpft und damit eine christliche Symbolik enthält.
Die offensichtlichsten Bezüge zu Leonardos Studien finden sich im dynamischen Kontrapost der Figuren und der Drehung der Madonna, für deren Haltung als zentrale Inspiration Leonardos Engel der Felsgrottenmadonna gelten kann, der von hinten dargestellt ist und sich um drei Viertel dreht. Die "aristokratische" Typologie der Madonna - mit der hohen Stirn und der kraftvollen Nase - ist in Giampietrinos Werk relativ selten, kann aber in gewisser Weise mit der Madonna mit dem Kind zwischen dem hl. Hieronymus und dem hl. Johannes dem Täufer (Palazzo Vescovile, Pavia) von 1521 verglichen werden. Da das Altarbild stark an die Modelle von Cesare da Sesto erinnert, der in Mailand den neuesten Stil aus Rom, insbesondere von Raffael, einführte, könnte ein Terminus post quem die Rückkehr des Malers in die Stadt um 1520 sein. Unsere Replik zeichnet sich auch durch ein weiches Sfumato aus, das an die Anbetung des Kindes mit dem hl. Rochus aus der Ambrosiana, datiert um 1524, erinnert und stilistisch an die kleine Madonna mit Kind, hl. Johannes und hl. Hieronymus im Museo di Capodimonte, Neapel, anschließt (Cristina Geddo, Le pale d'altare di Giampietrino: ipotesi per un percorso stilistico, in: Arte Lombarda, CI (1992), S. 67-82, S. 71-73, Abb. 6-7), wo die gleiche ungewöhnliche "kuppelförmige" Halterung zu finden ist. Die oben erwähnten Vergleiche, zusammen mit der Eleganz und Zartheit des Werks, der glatten Ausführung, der raffinierten Farbpalette und dem Vorhandensein von Elementen, die nicht direkt mit der Leonardo-Tradition verbunden sind, führen dazu, das Werk in die mittlere Reifezeit des Künstlers zu datieren. Cristina Geddo nennt als wahrscheinlichste Entstehungszeit der vorliegenden Version die Jahre 1523 - 1525.
Die Madonna della Mela ist eine besonders geglückte Komposition in Giampietrinos Schaffen; die neun bisher bekannten eigenhändigen Repliken lassen sich anhand der Typologie der Landschaft sowie des Schleiers der Madonna in zwei Gruppen einteilen. Als Prototyp der ersten Gruppe - charakterisiert durch den Schleier auf dem Hinterkopf der Madonna und das kleine Dorf zur Linken des Sees im Hintergrund - kann die Tafel aus der Murray Collection in Wimbledon Park, Newstead, heute in der Pinacoteca di Brera (2), Mailand, gelten (49 x 37,8 cm; datiert um 1520); der Prototyp der zweiten Gruppe - mit dem auf der Stirn der Madonna ruhenden Schleier und einem den Hintergrund abschließenden Berg - befindet sich heute in einer Privatsammlung (52,5 x 40,1 cm). Die Repliken der zweiten Gruppe können mit den Werken identifiziert werden, die sich ehemals im Schloss Blažkov in Böhmen befanden (3), mit dem Werk in der Sammlung Anna Acton in Neapel (4), mit dem Werk in einer Mailänder Privatsammlung sowie dem Werk in der Pinacoteca del Castello Sforzesco in Mailand. (5) Die vorliegende Tafel steht der Castello-Madonna (53 x 40 cm) besonders nahe - nur bei diesen beiden Gemälden ist der Schleier nicht vergoldet - und stellt eine wichtige Ergänzung des Œuvres von Giampietrino dar.
Das Werk wird in die demnächst erscheinende Monographie von Cristina Geddo, Giovanni Pietro Rizzoli, il Giampietrino. L'opera completa, aufgenommen werden.
Wir danken Dr. Cristina Geddo herzlich für ihre Unterstützung bei der Katalogisierung dieses Lots.

(1) M. Levi D’Ancona: The Garden of the Renaissance. Botanical Symbolism in Italian Painting, Florenz 1977, S. 46-50 Nr. 10.
(2) Geddo, 1992, S. 79 FN 44; F. Frangi, in: The Martello Collection, Further paintings, drawings and miniatures, 13th-18th century, hrsg. v. M. Boskovits, Florenz 1992, S. 78-80 Nr. 17; P.C. Marani, in: Pinacoteca di Brera. Addenda e apparati generali, Mailand 1996, S. 112-114 Nr. 73.
(3) F. Navarro, in: Leonardo e il e il leonardismo a Napoli e a Roma, Ausstellungskatalog hersg. V. A. Vezzosi (Napoli, Museo di Capodimonte - Roma, Palazzo Venezia), Florenz 1983, S. 131-132, m. Abb.
(4) F. Navarro, in: Leonardo e il e il leonardismo, 1983, S. 152 Nr. 348, S. 131-132, Abb. 270.
(5) Geddo, 1992, S. 79 Fußnote 44; P.C. Marani, in: Museo d’Arte Antica del Castello Sforzesco. Pinacoteca,
Bd. I, Scuole italiane. Dal Medioevo al primo Cinquecento, Mailand 1997, S. 306-307, Nr. 207.

Zertifikat

Dr. Cristina Geddo, Mailand, 8.9.2022.

Provenienz

Schweizer Privatsammlung, zu Beginn des 20. Jahrhunderts erworben.

Literaturhinweise

Cristina Geddo: Giovanni Pietro Rizzoli, il Giampietrino. L’opera completa (in Vorbereitung).