Roman Zieglgänsberger – Wie Kunst entsteht
Eine kurze Anmerkung zu Max Pechsteins Programmbild „Selbstbildnis, liegend“
Das außerordentlich kraftvoll in klaren Farben gemalte „Selbstbildnis, liegend“ ist ein Ausnahmebild. Und dies ist es gleich in mehrfacher Hinsicht. Nicht nur, dass es sich um das erste in Öl ausgeführte Selbstbildnis Pechsteins handelt, weshalb es allein schon ganz automatisch einen besonderen Stellenwert innerhalb seines Oeuvres einnimmt, sondern auch, weil es in dem Bild um mehr geht, als lediglich sich selbst, möglichst präzise in der Ähnlichkeit getroffen, in seiner Profession als Maler zu präsentieren. Es zeigt vielmehr, wie Kunst entsteht. Nimmt man es ganz genau, zeigt es sogar, wo Kunst entsteht. Damit reiht sich das Gemälde in seinem Anspruch ein in die Reihe der größten expressiven Selbstbildnisse von Malern wie Vincent van Gogh, Edvard Munch oder Alexej von Jawlensky (s. Abb. unten). Van Gogh stellt sich mit qualmender Pfeife dar, um uns zu zeigen, dass der Kopf beim Malen raucht und es deshalb zu Selbstverletzungen kommen kann, Munch musste erst in die Hölle hinabsteigen, um sich selbst zu erkennen und seinen abgründigen Themen zu stellen, und Jawlensky zeigt nur noch seinen runden Kopf, dieser wird ihm aber zur Farbpalette, um sich selbst zu versichern, dass er und seine Farben, seine Malerei, sein Tun wirklich eins geworden sind.
Doch wie funktioniert Pechsteins ausgeklügelte Komposition, die genau in dem Moment entstand, als die Künstler der 1905 in Dresden gegründeten „Brücke“-Vereinigung zu ihrem unverwechselbaren Stil gefunden haben?
Max Pechstein präsentiert sich darin in Ganzfigur, wie er liegend – das gesamte Bild durchmessend und lediglich mit dem rechten Ellbogen und dem linken Fuß aufgestützt – ein Selbstporträt mit einem gänzlich auf sein Tun konzentrierten Blick ausführt. Möglicherweise befindet sich der Maler im Freien auf einem grünen Rasen vor einer gelben Hauswand. Für die thematische Aussage des Gemäldes ist jedoch entscheidend, dass sich ganz links am Rand die Palette befindet und ihr gegenüber am entferntesten Punkt im Bild rechts die angeschnittene Leinwand. Auf dieser entsteht soeben sein „Selbstbildnis, liegend“, das wir letztlich vor Augen haben. Raffiniert ist zudem, dass sich das Gemälde exakt aus den Farben zusammensetzt, die sich – nur folgerichtig – auf seiner Palette befinden. Das bedeutet, Pechstein führt uns, indem er die Farben von der Palette links auf die Leinwand rechts überträgt, einen „kunstvollen“ Spagat vor Augen. Die Primärfarben Rot-Gelb- Blau sowie die Mischfarbe Grün auf seiner Palette müssen vom Künstler, der nur im Selbstbildnis sichtbar im Zentrum steht beziehungsweise in unserem Fall „liegt“, zur Kunst auf der Leinwand „übersetzt“ werden. Liest man das Bild in der abendländischen Leserichtung von links nach rechts, sehen wir durch Pechstein, wie Kunst entsteht, nämlich folgendermaßen: Mit den Farben wird das Motiv vom Künstler, der hier nicht nur der Ausführende, sondern gleichzeitig der Bildgegenstand ist, unter höchsten Anstrengungen präzise erfasst und auf der Leinwand umgesetzt.
Hat man sich den komplexen Aufbau des „Selbstbildnis, liegend“ erst vor Augen geführt, wird klar, dass Pechstein diesen „Kunstwerdungsprozess“, den er hier exemplarisch an seiner eigenen Person wie in einer Versuchsanordnung durch- und vorgeführt hat, nicht nur als Maxime für dieses eine Selbstporträt verstand, sondern zukünftig für sein gesamtes Schaffen ansah. Für Pechstein war demnach der Körper des Malers das Medium, der Resonanzraum, durch das das äußerlich Wahrgenommene erst hindurchgehen muss, um zur Kunst zu werden. Damit sagt er, dass die Welt mit allen Sinnen wahrgenommen werden muss, um vermischt mit der individuellen Persönlichkeit des Künstlers am Ende zu emotionaler Kunst werden zu können. Kunst ist nicht nur Kopf, Kunst ist nicht nur Malaktion, Kunst ist schlicht „gesamtkörperlich“. Mehr Programmbild kann ein Werk nicht sein.