Georges de La Tour - Eine Biografie voller Lücken
Georges de La Tour wurde am 13. März 1593 in der kleinen Gemeinde Vic-sur-Seille im französischen Lothringen geboren. Viel mehr war über sein Leben lange Zeit nicht bekannt, doch hat die emsige Forschung der letzten Jahre in kleinteiliger Arbeit wenigstens einige Details zutage gefördert, die das völlige Dunkel zu einer schwachen Dämmerung aufhellen. Georges de La Tour war der Sohn des Bäckermeisters Jean de La Tour und seiner Frau Sibylle, einer geborenen Mélian; der Künstler hatte, wie damals üblich, noch sechs Geschwister. Im Jahr 1618 musste er seine Ausbildung abgeschlossen und bereits eine gewisse Reputation besessen haben, denn er heiratete Diane Le Nerf, deren Vater als Finanzverwalter in den Diensten des Herzogs von Lothringen stand. Zwei Jahre später übersiedelte La Tour nach Lunéville, die Heimatstadt seiner Ehefrau. Dort verbrachte er den Großteil seines Lebens – nur unterbrochen durch einen kurzzeitigen Aufenthalt in Paris, wo er im Jahr 1639 von Ludwig XIII. mit dem höchst ehrenvollen Titel peintre ordinaire du Roy, »offizieller Maler des Königs«, bedacht wurde.
Ein großer Künstler ohne Lehrer
Wenn vieles über das Leben von Georges de La Tour im Konjunktiv bleiben muss, dann betrifft das vor allem auch seine künstlerische Ausbildung. Die Tatsache, dass sein Frühwerk im Stil des Manierismus ausgeführt ist, wie er zu dieser Zeit in Nancy gepflegt wurde, erlaubt die Vermutung, dass Georges de La Tour wenigstens einen Teil seiner Lehrzeit in Nancy, möglicherweise in der Werkstatt von Jacques Bellange, zugebracht und dort eine wichtige Prägung erhalten hat. Die später immer deutlicher zutage tretende Vorliebe für kontraststarke Hell-Dunkel-Malerei verweist zudem auf unübersehbare Wurzeln im Caravaggismus, als dessen bedeutendster Vertreter neben den Brüdern Le Nain der Lothringer Meister gilt. Ob Georges de La Tour im Lauf seines Lebens Reisen nach Italien oder in die Niederlande unternommen hat, ist nach wie vor strittig. Unstrittig ist hingegen, dass La Tours Werk eine gewisse Nähe zur spanischen Malerei verrät. Welche Lehrer seine Gabe formten und mit welchen Kollegen er Umgang pflegte, ist völlig ungewiss – der Künstler Georges de La Tour ist ein noch weit größeres Rätsel als der Mensch.
Großer Ruhm durch die Nachtstücke
Malte Georges de La Tour zu Beginn seiner Karriere vor allem religiöse und mythische Szenen, die seine frühen Erfolge begründeten, waren es aber vor allem seine einzigartigen Nachtstücke, auf deren Brillanz seine bleibende Bedeutung für die Kunstgeschichte fußt. Sie sind dem Spätwerk des Malers zuzuordnen und zeichnen sich aus durch eine Reduktion der vormals naturnahen, realistischen Darstellung der Figuren und eine stark gedimmte künstliche Lichtquelle, die vieles im Dunkeln lässt. Es wirkt, als habe ein Zauberer im schummrig beleuchteten Varieté einen verhüllenden Vorhang zur Seite gezogen, der nur eben so viel vom Bühnenbild preisgibt, wie es braucht, um dem Publikum eine Ahnung des Dargestellten zu vermitteln. Das Spiel mit dem Licht, das aus banalen Vorgängen ein mythisches Geheimnis macht, das der Maler mit einer eigentümlichen Mischung aus Voyeurismus und einfühlsamer Zärtlichkeit enthüllend-verhüllend ins Bild setzt.
Gefeierter Künstler und Lebemann
Ein offizielles Selbstporträt ist nicht im Oeuvre des Künstlers erhalten. Man hat also keine Vorstellung davon, wie Georges de La Tour ausgesehen hat – doch gibt es Stimmen, die glauben möchten, dass sich der Maler in seinem Werk Der Falschspieler mit dem Karo-As selbst in Szene gesetzt hat. Diese auf den ersten Blick sehr ungewöhnliche Selbstdarstellung würde durchaus zu dem wenigen passen, was über den Lebenswandel La Tours nach seinem Aufstieg überliefert ist, denn offenbar verstand sich der Künstler nicht nur darauf, seinen Pinsel zu führen, sondern auch seine Fäuste: Gleich mehrere Anzeigen aufgrund handgreiflicher Auseinandersetzungen sind belegt. Auch sonst fanden seine Nachbarn wohl häufig Anlass zur Klage. Ein Dokument aus dem Stadtarchiv von Lunéville bezeugt eine Beschwerde der Bürger beim Herzog von Lothringen über das rücksichtslose Gebaren des Künstlers, der sich eine große Anzahl Hunde hielt und diese zu Hasenjagden über die Felder der Bauern trieb, wobei die Ernte schwer geschädigt wurde.
Auf den Tod folgte das Vergessen
Der Aufstieg des Vaters bot auch den Kindern glänzende Perspektiven, die zumindest einen der Söhne Georges de La Tours im Jahr 1670 bis in den Adelsstand führte. Warum dieser Sohn seinen mit dieser Auszeichnung zweifellos verbundenen Einfluss nicht nutzte, um das Andenken seines Vaters zu fördern, ist ein weiteres der vielen Rätsel für die Forschung. Denn nachdem der Künstler am 30. Januar 1652 einer in Lunéville grassierenden Epidemie zum Opfer gefallen war, folgte auf den Tod das Vergessen. Zeitweise wurde Georges de La Tour völlig vom Dunkel der Geschichte verschluckt, seine Bilder wurden zwar bewundert, aber falsch etikettiert und abwechselnd der niederländischen, der italienischen und in den meisten Fällen der spanischen Malerei zugeschrieben. Der glanzvolle Name Georges de La Tour, der Liebling der Reichen und Mächtigen seiner Zeit, der gefeierte und gesuchte Maler war aus der Wirklichkeit entschwunden, als habe jemand das schwache Licht, das so viele seiner Nachtstücke schummrig erhellte, ganz plötzlich ausgeblasen.
Wiederentdeckung im 20. Jahrhundert
Erst viele Jahrhunderte nach seinem Tod, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wurde Georges de La Tour dem unverdienten Vergessen entrissen. Durch einen Aufsatz des Kunsthistorikers Hermann Voss zündete wieder eine kleine Kerze an, die einen ersten schwachen Schein auf das Schaffen des verloren geglaubten Künstlers warf. Seine Kollegen Pierre Rosenberg und Jacques Thuillier nahmen in den 1970er Jahren diesen Anstoß auf und trugen mit ihrer umfassenden Forschungsarbeit entscheidend dazu bei, dass Georges de La Tour den ihm gebührenden Platz in der Kunstgeschichte erhielt. Als sich die vormalige Missachtung in Bewunderung wandelte und nahezu alle großen Museen eilig versuchten, das bislang Versäumte aufzuholen und La Tours Werke in ihre Sammlungen aufzunehmen, erwies sich das schmale Oeuvre des Künstlers als Problem: Lediglich rund 40 Gemälde sind heute als eigenhändige Arbeiten Georges de La Tours anerkannt – eine geringe Auswahl für eine immer größer werdende Schar von Interessenten. Aus diesem Grund ist Georges de La Tour nahezu vollständig vom freien Markt verschwunden. Kommt tatsächlich einmal ein echter und eigenhändiger La Tour zur Auktion, ist das eine beispiellose Sensation und eine einmalige Gelegenheit.
Weitere Informationen zu Georges de La Tour:
MASTERPIECES FROM THE BISCHOFF COLLECTION
Georges de La Tour - Werke, die bereits im Kunsthaus Lempertz verkauft wurden: