Morita Shiryu gehört zu den bedeutendsten japanischen Künstlern der Nachkriegszeit, der vor allem für seine neue Interpretation der althergebrachten, uralten Kunst der Kalligrafie berühmt ist. Seine Arbeit übte großen Einfluss auf die avantgardistische Kalligrafie-Bewegung seiner Zeit aus.
(...) WeiterlesenMorita Shiryu - Kleiner Drache, großer Künstler
Morita Shiryu wurde am 24. Juni 1912 in Toyooka geboren. Sein eigentlicher Vorname lautete Kiyoshi, aber er entschied sich um das Jahr 1925 herum für den Künstlernamen Shiryu, was in der japanischen Sprache »Kleiner Drache« oder »Drachenkind« bedeutet. Etwa 1937 ging er nach Tokyo, um dort Kalligrafie bei Ueda Sōkyū zu studieren. 1943 kehrte er für einige Jahre nach Hause zurück, ehe er nach Kyōto City zog, um sich der dortigen Künstlergemeinschaft anzuschließen.
Schriftzeichen als Schlüssel zu einem tiefen Verständnis der Welt
Morita Shiryu gehörte zu den Mitbegründern der einflussreichen Bokujin-kai-Bewegung, die auf Deutsch so viel bedeutet wie »Tuschkünstler-Vereinigung«, und beteiligte sich regelmäßig an deren Ausstellungen. Von 1951 bis 1980 gab er das Kunstmagazin Bokubi (»Schönheit der Tusche«) heraus, das monatlich erschien. Die japanische Kalligrafie, die ihren Ursprung in China hat, ist weit mehr als nur die Kunst des Schreibens. Im Gegensatz zur westlichen Schönschrift ist die japanische Kalligrafie ein Weg der Inspiration, ein Schlüssel zum Verständnis der Welt, der schon immer einen engen Bezug zu den bildenden Künsten besaß. Was für ungeübte Augen vielleicht nur wie eine Ansammlung von Farbflecken aussehen mag, birgt für den Kundigen eine reiche Symbolik an verborgenen Aussagen und Erkenntnissen. Mit seinen großformatigen Kalligrafien wie der 1964 entstandenen Zeichenfolge Ryū chi Ryū (»Drache versteht Drache«) bietet Morita Shiryu eine kaum lesbare Chiffre an – aber gerade in dieser vermeintlichen Unmöglichkeit des Entzifferns liegt auch die Möglichkeit des tieferen Erkennens und Verstehens. Für die Erstellung seiner Kalligrafien greift Morita Shiryu gern auf dafür sonst unübliche Materialien zurück, die den Eindruck der Unlesbarkeit oft noch verstärken. In dem genannten Beispiel steht der Drache für Größe – Größe, die einfach Größe ist, zeitlos und losgelöst von Interpretationen und Relativierungen.
Der »Weg des Schreibens« als Philosophie der Ästhetik
Morita Shiryu unterrichtete von 1953 bis 1961 an der Universität Wakayama. Nach dem Ende dieser Tätigkeit unternahm er Reisen in die USA und nach Europa, wo er zahlreiche Vorträge über Kalligrafie hielt und seine Interpretation dieser uralten japanischen Kunst einem wachsenden und begeisterten Publikum demonstrierte. Dabei betonte er, dass die Kunst des Schreibens in Asien auf eine über dreitausendjährige Geschichte verweisen könne und in dieser gewaltigen Zeitspanne auf die Höhe einer wahren Kunst erhoben worden sei. Shodō, der »Weg des Schreibens«, sei deshalb weit mehr als nur eine koordinierte Bewegung von Hand und Körper, er sei eine Philosophie der Ästhetik. Morita Shiryu war gefeierter Gast auf verschiedenen Ausstellungen, so der Biennale von São Paolo, der »Carnegie International Exhibition« und der »Ausstellung der Gegenwartskunst Japans«. Heute werden bei Auktionen für die rätselhafte Kunst von Morita Shiryu Preise in stattlicher Höhe erzielt – und längst sind es nicht mehr nur Sammler aus Asien, die sich für die avantgardistischen Kalligrafien des japanischen Meisters begeistern.
Morita Shiryu starb am 1. Dezember 1998.
Morita Shiryû - Werke, die bereits im Kunsthaus Lempertz verkauft wurden: