Günther Uecker
Diagonale Struktur (Aus der Serie: Parallelstrukturen)
1965/1975
Nagelung und Graphit auf Leinwand auf Holz. 40 x 40 x 8,5 cm. Diagonale Struktur Uecker 75 Serie 1-10 No.8 Parallestrukturen 1965-1975
Nagelung und Graphit auf Leinwand auf Holz 40 x 40 x 8,5 cm. Rückseitig auf dem Holz signiert, datiert, betitelt und beschriftet 'Diagonale Struktur Uecker 75 Serie 1-10 No.8 Parallelstrukturen 1965-1975' sowie mit Richtungspfeil und -angaben versehen. - Mit geringfügigen Altersspuren.
Honisch S.240/241 mit Abb. (hier abweichend betitelt: Progressionen. Diagonalvertikalstrukturen)
Mit beiliegendem signierten Photozertifikat des Künstlers von 2013.
Provenienz: Galerie 2, Stuttgart; Privatsammlung, Italien
Die drei Arbeiten „Diagonale Struktur“ (Los 843), „Feld“ (Los 844) und „Gespalten“ (Los 842) erlauben einen tiefgreifenden Einblick in Günther Ueckers Schaffen. Sein gesamtes Oeuvre wird schon frühzeitig von einer beeindruckenden Klarheit in der Gestaltung und einer präzisen Aussage geprägt. Bereits Ende der 1950er Jahre hat Uecker mit dem Nagel sein zentrales Werkzeug und Medium gefunden, das bis heute aktuell geblieben ist. Weitere wiederkehrende Grundelemente seiner Kunst sind von Beginn an Licht und Bewegung. In „Diagonale Struktur“ führt der Künstler vor Augen, dass Bewegung entstehen kann, wo zunächst keine vermutet wird: Die Nägel werden in strenger Anordnung diagonal gereiht und die Verlaufsform wird durch Graphitlinien auf der Leinwand vorgegeben. Uecker bricht schließlich die betonte Linearität des Arrangements, indem er den Einschlagswinkel der Nägel variiert, so dass die Struktur der Arbeit sich je nach Blickwinkel des Betrachters ändert. Wie Uecker in zahlreichen Interviews erläutert hat, sind das eigene Erleben und der persönliche Erfahrungsschatz wichtige Inspirationsquellen für ihn. So spiegelt sich auch die Erinnerung an seine Kindheit auf der Ostsee-Insel Wustrow in seinen linearen Werken wieder: „Ich habe tatsächlich früher als Bauernjunge immer mit viel Spaß die Egge oder die Sämaschine mit den Pferden bis zum Horizont geführt, ohne daß die Furchen da Kurven zogen. Und ich konnte mir dadurch auch Vergnügen machen, daß ich den Misthaufen besonders kubisch anlegte. Das bereitete mir echt Vergnügen, obwohl die Arbeit schwer war. Ich komme eben nicht aus einer Stadtwohnung, wo ich mich im Farbfernseher malend darstellen kann, heute jedenfalls, sondern ich komme aus einer anderen Umwelt, wo man den Farbfernseher flach auf dem Boden liegen hatte, bis zum Horizont, und das war eben das Bild der Welt.“ (Günther Uecker, Einführungsinterview, in: Stephan von Wiese (Hg.), Günther Uecker, Schriften, Gedichte, Projektbeschreibungen, Reflexionen, St. Gallen 1979, S.97).
Die stark optische Wirkung seiner Arbeiten führt Uecker in den seit Mitte der 1960er Jahren entstehenden „Feldern“ weiter. Im Vergleich zu den Strukturbildern wird der Gesamteindruck organischer, bewegter. Die Nägel werden nun, einem freien Rhythmus folgend, in den Untergrund geschlagen, wie auch in der vorliegenden Arbeit „Feld“. Es entsteht ein geradezu meditativer Eindruck, so, als würden die Nägel tatsächlich sanft im Wind hin und her wiegen. Verstärkt wird diese Wirkung zusätzlich durch das Changieren zwischen reinem Weiß, der chamoisfarbenen Leinwand und dem metallischen Grau der Nägel. Für Uecker, der sich bereits seit den frühen 1960er Jahren dem japanischen Zen-Buddhismus verbunden fühlt, ist die Verwendung der Farbe Weiß eine zentrale Entscheidung für sein Werk und eine spirituelle Geisteshaltung: „Ich habe mich für eine weiße Zone entschieden als äußerste Farbigkeit, als Höhepunkt des Lichtes, als Triumph über das Dunkel. Eine weiße Welt ist, glaube ich, eine humane Welt, in der der Mensch seine farbige Existenz erfährt, in der er lebendig sein kann. Diese Weißstrukturen können eine geistige Sprache sein, in der wir zu meditieren beginnen. Der Zustand Weiß kann als Gebet verstanden werden, in seiner Artikulation ein spirituelles Erlebnis sein.“ (Günther Uecker, Der Zustand Weiß, in: Stephan von Wiese (Hg.), Günther Uecker, Schriften, Gedichte, Projektbeschreibungen, Reflexionen, St. Gallen 1979, S.104)
Wie bereits deutlich wurde, ist die künstlerische Äußerung bei Uecker stets verbunden mit seiner Person, seinem Erleben und seinen Empfindungen. Mit Beginn der 1980er Jahren tritt eine neue Emotionalität in den Vordergrund und die Bildsprache wird rauer; so gesellt sich zum Nagel das Beil als Gestaltungsmittel: Das Werk wird zu einer Art visueller Protest. Besonders intensiv beschäftigt sich der Künstler in diesen Jahren mit der Verletzlichkeit des Menschen, der seinen Mitmenschen und der Natur gegenüber aber auch zum Täter werden kann. „Ich glaube, daß der Künstler gezwungen ist, einer inneren Empfindung Ausdruck zu geben, die bei ihm Angst bedeuten kann, Angst vor einer menschlichen Verletzung oder Angst vor einer menschlichen Zerstörung - die Zerstörung des Menschen, die der Mensch bewirkt. Es ist notwendig, für den Künstler verpflichtend, dieses Thema in seinem künstlerischen Repertoire zu verwenden, um die Bedrohung des Menschen zum Ausdruck zu bringen, um einen Dialog herzustellen, der dazu führen kann, den Menschen zu bewahren in seiner Gefährdung.“ (Günther Uecker, 1981, in: Dieter Honisch, Günther Uecker, Eine Retrospektive, Ausst.Kat.,München 1993, .o.S.) In „Gespalten“ macht Uecker diese Aussage anschaulich: Nach wie vor spielt Bewegung eine große Rolle, allerdings wirkt die Dynamik des schwarzen (!) Farbauftrages und die wilde Nagelung um einiges aggressiver. Die massive Holzplatte wurde mit heftigen Beilschlägen in zwei Teile getrennt und macht die Verletzung des Holzes, das als Sinnbild für den Menschen wahrgenommen werden kann, anschaulich. „Gespalten“ ist aber auch als Appell an die Menschlichkeit zu interpretieren, denn schließlich ist seine Kunst ein Zeichen der Hoffnung, wie Uecker 2001 in seiner Rede anlässlich der Verleihung des hochrangigen Ordens Pour le mérite für Wissenschaft und Künste betont: „Die Kunst kann den Menschen nicht retten, aber mit der Kunst wird ein Dialog möglich, der zu einem bewahrenden Handeln aufruft.“ (Günther Uecker, in: Orden Pour le mérite, Reden und Gedenkworte 2001-2002, Bd.31, Göttingen 2003, S.79).
Werkverzeichnis
Honisch S.240/241 mit Abb.
Zertifikat
Mit beiliegendem signierten Photozertifikat des Künstlers von 2013.
Provenienz
Galerie 2, Stuttgart; Privatsammlung, Italien