Gert Heinrich Wollheim - Die Zirkusreiterin - image-1

Lot 17 D

Gert Heinrich Wollheim - Die Zirkusreiterin

Auktion 1155 - Übersicht Köln
19.06.2020, 18:00 - Moderne und Zeitgenössische Kunst - Evening Sale
Schätzpreis: 25.000 € - 30.000 €
Ergebnis: 85.000 € (inkl. Aufgeld)

Gert Heinrich Wollheim

Die Zirkusreiterin
1923

Öl auf Leinwand 103 x 83 cm Gerahmt. Unten rechts dunkelrot signiert und datiert 'Wollheim 23'. - In guter Erhaltung. Partiell minimales Craquelé.

„Für gewöhnlich erzählt ein Bild seine Geschichte; folgt man dem Gang der Szene …, so entwickelt sich bald eine intendierte, ironische Mehrdeutigkeit, in der sich die lesbare Aussage verschiebt.“ (Ulrich Krempel, Miene, Geste, Pose, in: Ausst. Kat. Düsseldorf 1993, op. cit., S. 44).
Wohin sich die Aussage verschiebt, ist auch bei dem Gemälde der „Zirkusreiterin“ nicht klar. Kann sich die Reiterin halten auf dem sich hoch aufbäumenden Hengst? Ist dies Teil der Vorstellung oder geht das Pferd durch und begräbt uns, Zirkusdirektor, Maler oder Bildbetrachter gleichermaßen - noch im winzigen Rund der Manege stehend, unter sich? Oszillierend zwischen Gefahr, Ohnmacht und Bewunderung ist der Betrachter seiner Verunsicherung überlassen. Im spektralen Scheinwerfervorhang verstecken sich clowneske gesichtslose Randfiguren - die rechte mag ein Zitat der „Goldkugel“ aus dem im selben Jahr in Weimar aufgeführten „Triadischen Ballett“ von Oskar Schlemmer sein -, die die Szenerie weiter verrätseln.
Die Perspektiven sind halsbrecherisch, die An- und Aufsichten extrem. Kaum hat man das Loch im Manegenboden erblickt, in das Pferd und Reiterin zu stürzen drohen, entdeckt man auch schon den Dolch in der Brust des mächtigen Tieres und versteht die erst spaßig anmutenden Pferdeäpfel als Reaktion der Angst und des Schmerzes. Ein in liebreizend-harmlose Rosa-Rottöne getauchter Moment von höchster Gefahr und brenzligem Amüsement, in dem die zierliche gertenschwingende Prinzessin zu Pferde die Oberhand behalten wird, hoffentlich.
Provokation und politisches Engagement ziehen sich durch Gert Wollheims Werk. Als Mitglied der Künstlergruppe „Junges Rheinland“ und Freund der Galeristin Johanna (Mutter) Ey setzt er sich für ein Kartell der sezessionistischen Künstlergruppen ein, um sich gegen staatliche und städtische Einrichtungen zu stärken. Er mischt die Düsseldorfer Bourgeoisie auf und wendet sich gegen den akademischen Betrieb. Zwei Prozesse wegen Verleumdung und des Vorwurfs unzüchtiger Bildinhalte gewinnt er. Mit dem kultur- und kunstinteressierten Juristen Dr. Friedrich Maase, der später Gründer der Heinrich-Heine-Gesellschaft werden wird, ist Wollheim befreundet. Wollheim malt sein Porträt und das seiner Frau. Diese Gemälde wie auch weitere aus dem Besitz Maases sind im Zuge des II. Weltkriegs zerstört worden oder gelten als verschollen - „Die Zirkusreiterin“ aus dem Besitz des politisch verfolgten und im Dritten Reich inhaftierten Rechtsanwalts hat sich als besonders eindrucksvolles Werk Wollheims aus den frühen 1920er Jahren erhalten.
Anlässlich einer Ausstellung des Jungen Rheinlands 1923, dem Entstehungsjahr der „Zirkusreiterin“ schreibt Gerhard Schreiner in der sozialdemokratischen „Volkszeitung“: „Ein ganz anderer Künstler ist Gert Wollheim (…). Er ist der Mystiker des Verstands, der große Gaukler (…). Dinge des Unterbewußtseins, des Traums und der Dynamik des Animalischen, des Worts und Begriffs malt er hin. Seine Kunst ist metaphysische Spekulation, für den Augenblick auf die Ebene der Realität kondensiert.“ (Von Wiese, op. cit., S. 216 f.).

Werkverzeichnis

Euler-Schmidt 46

Provenienz

Vom Vorbesitzer Dr. Friedrich Maase, Düsseldorf, direkt vom Künstler erworben; seitdem Familienbesitz Baden-Württemberg

Ausstellung

Düsseldorf 1961 (Kunstmuseum), Gert H. Wollheim, Kat.Nr. 6 mit Abb.; Berlin 1971 (Galerieräume Jebenstraße), Gert H. Wollheim. Malerei Graphik Plastik, Kat.Nr. 44; Düsseldorf 1993 (Kunstmuseum Düsseldorf im Ehrenhof), Gert H. Wollheim 1894-1974. Eine Retrospektive, Kat.Nr. 11 mit ganzseitiger Farbabb. S. 109