Jacopo Negretti, gen. Palma Vecchio - Liegende Venus in einer Landschaft - image-1

Lot 2019 Dα

Jacopo Negretti, gen. Palma Vecchio - Liegende Venus in einer Landschaft

Auktion 1175 - Übersicht Köln
05.06.2021, 11:00 - Gemälde und Zeichnungen 15.-19. Jh.
Schätzpreis: 600.000 € - 800.000 €
Ergebnis: 740.000 € (inkl. Aufgeld)

Jacopo Negretti, gen. Palma Vecchio

Liegende Venus in einer Landschaft

Öl auf Leinwand (doubliert). 112 x 165 cm.
Im zeitgenössischem Rahmen.

Weibliche Akte finden sich früh in der italienischen Kunst, vornehmlich in Darstellungen der griechischen und römischen Mythologie. Niemals zuvor jedoch wurden sie mit einer Sinnlichkeit wiedergegeben wie bei den großen Venezianern zu Beginn des 16. Jahrhunderts, bei Giorgione, Palma Vecchio und Tizian. Wie Gentillini gezeigt hat, verbreitete sich die Darstellung der schlafenden Venus nach dem Erscheinen der neoplatonischen Schrift Hypnerotomachia Poliphili (1499), die von entscheidender Bedeutung war für die Verbreitung klassischer Bildmuster. Eine der berühmtesten Xylographien der Publikation zeigt eine schlafende Nymphe, die von einem Satyr entdeckt wird, begleitet von der griechischen Inschrift PANTON TOKADI, „Mutter von Allem” (vgl. Abb. 1). So wird die schlafende Nymphe mit der Venus Gentrix gleichgesetzt und der schöpferischen Kraft der Liebe inmitten der fruchtbaren Natur gehuldigt.

Das erste und berühmteste Beispiel dieser neuen Ikonografie stellt Giorgiones Dresdener Venus dar (vgl. Abb. 2). Palma Vecchio selbst hat das Thema mehrmals behandelt, wofür das vorliegende Gemälde ein exemplarisches Beispiel ist. Das Gemälde kann ab antiquo zurückverfolgt und als jenes Werk identifiziert werden, das im Nachlassinventar Palma Vecchios aus dem Jahr 1529 als “ein großes Gemälde auf Leinwand mit einem nahezu fertigen Akt” bezeichnet wird, wobei ein zweites, größeres Gemälde, ein tellero, ebenfalls erwähnt wird.
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts befand sich das Werke in mehreren herausragenden Sammlungen und wurde unter anderem in der Londoner Royal Academy und im Courtauld institute ausgestellt. Es fand schließlich Eingang in eine der bedeutendsten US-amerikanischen Sammlungen, in jene J. Paul Gettys in Malibu.
Palma Vecchio reüssierte in Venedig zu Beginn des 16. Jahrhunderts und wurde vor allem durch Darstellungen junger Frauen berühmt, Belle genannt, die zwischen Idealdarstellung und Bildnis oszillieren. Palma Vecchios Venus und Amor in einer Landschaft, heute im Fitzwilliam Museum, Cambridge, kann als unmittelbares Vorbild für die vorliegende Komposition angesehen werden. (vgl. Abb. 3) Während der Akt in Cambridge aufgrund der Attribute zweifellos als Venus identifiziert werden kann und somit an die Tradition des Quattrocento anknüpft, offenbart die vorlegende Darstellung die Kenntnis der Hypnerotomachia Poliphili.
Obgleich die Figur des Amor mit seinen Attributen fehlt, kann der weibliche Akt als Venus identifiziert werden, wobei die weibliche Figur, die Göttin, aus jeglichem narrativen Zusammenhang und aus traditionellen Darstellungsmustern herausgenommen ist. Elemente wie der Haarschmuck, der Ehering und der Schleier (dem Symbol der weiblichen Keuschheit) sowie der Blick der Figur aus dem Bild - zu ihrem Gatten - verorten sie eher in das 16. Jahrhundert denn in eine ferne mythologische Welt. Im Gegensatz zu den zahllosen schönen jungen weiblichen Figuren, deren Gesten und Attribute uneindeutig bleiben, haben wir es hier mit Venus zu tun, die sich als Braut präsentiert. In ähnlicher Weise sollte zehn Jahre später Tizian die berühmte Venus von Urbino für Guidobaldo della Rovere malen - eine Liebesgöttin, die am Hofe im Schlafgemach liegend die jugendliche Braut in die Liebe einweist.
Die Infrarotreflektografie des Gemäldes zeigt einen vorzüglichen Erhaltungszustand und nahezu keine neueren Restaurierungen. Es weist zudem die charakteristischen Pentimenti der Werke Palma Vecchios, vor allem in der Stellung der Beine der Figur, die zuvor weiter ausgestreckt waren.
Der originale Intaglio-Rahmen ist ein Meisterwerk der venezianischen Rahmenkunst, er kann dem Meister Jacopo da Bergamo, einem Freund Palma Vecchios, zugeschrieben werden. Jacopo da Bergamo ließ sich bei der Gestaltung wahrscheinlich durch den berühmten Ara Grimani inspirieren, einem römischen Marmor aus dem ersten Jahrhundert vor Christus, der 1526 als Teil der Sammlung Grimani nach Venedig gelangte.

Provenienz

Prinzessin Labadini, Mailand. – Graf Seilern, Paris. - Arthur Hamilton Lee, Viscount of Fareham, London, vor 1923. – Viscountess Ruth Lee of Fareham (née Ruth Godfrey). – Courtauld Institute, University of London, Lee of Fareham Collection, Nr 57. – Auktion Christie’s, London, 25.11.1966, Lot 16. - Fine Arts Corporation, Delaware. – Sammlung J. Paul Getty, Sutton Place, Surrey. - J. Paul Getty Museum, Malibu. – Auktion Christie’s, New York, 5.6.1980, Lot 112. – Europäischer Kunstbesitz.

Literaturhinweise

E. Fornoni, Notizie Biografiche su palma il Vecchio, Bergamo 1886. - G. von Ludwig, Archivialische Beiträge zur Geschichte der venezianischen Malerei, in: Jarhbuch der Königlich Preussischen Kunstsammlungen", 1903, S. 77. - T. Borenius: The Picture Gallery of Andrea Vendramin, 1923, Bd. 1, n 12. - T. Borenius: A catalogue of the pictures… collected by Viscount and Viscountess Lee of Fareham, London 1923-1926. – A. Locatelli-Milesi: Giacomo Palma il Vecchio, in: Bergomium, Bergamo 1928, VIII, S. 214. - A. Venturi, La storia dell'arte Italiana, Mailand 1928, S. 418 u. 436. - W. G. Constable: Dipinti di raccolte inglesi alla mostra italiana a Londra", in: Dedalo, 1930, S.26. - G. Gombosi: Palma il vecchio, 1932, S.174. - A. M. Spahn: Palma il vecchio, 1932, S. 180. - G. Gombosi: Palma il Vecchio, 1937, S. 137, 100. - B. Berenson: Italian Painters of the Renaissance, Venetian School, London 1957, Bd. I, S.124. - G. Mariacher, Palma il Vecchio, 1968, S. 93 u. 101; G. Mariacher, Jacopo Negretti detto Palma il Vecchio, 1975, S. 207. - Philip Rylands, Palma il Vecchio, 1988, 67/2,S. 233f. - M. Vallés-Bled: Peintres de Venise, 2000, catalogo della mostra, Lodève 2000, S. 20f, Nr. 8. - A. Gentili: La sposa e la dea, Ausst.-Kat. Kunstistorisches Museum, Wien 2006. - AA. VV.: Pittura a Venezia da Tiziano a Longhi, Ausst.-Kat. Tokyo 2007, S. 32f, I 13-16. - Elena Fontanella (Hrsg.): Amore e Psiche – la favola dell’Anima, Ausst.-Kat. Turin/Manuta /Monza 2013.

Ausstellung

Italian Paintings at the Royal Academy, London, 1930. - J.P. Getty Museum, ständige Sammlung collection, Malibu/Kalifornien (vor 1990). - Paintres de Venise, Lodeve 2000. - Giorgione- Bellini – Tiziano, Die Braut und die Göttin, Kunsthistorisches Museum, Wien, 2007. - Pittura Veneziana da Tiziano a Longhi, Tokyo 2007. – Amore e Psiche – la favola dell’Anima, Turin, Palazzo Barolo / Manuta, Palazzo Tè / Monza, Reggia Reale, 2013.