Jan Lievens - Selbstbildnis im Spiegel - image-1

Lot 1029 Dα

Jan Lievens - Selbstbildnis im Spiegel

Auktion 1245 - Übersicht Köln
16.05.2024, 11:01 - Alte Kunst und 19. Jahrhundert, Teil I.
Schätzpreis: 120.000 € - 150.000 €
Gebot

Jan Lievens

Selbstbildnis im Spiegel

Öl auf Holz. 47 x 33,4 cm.

Jan Lievens und Rembrandt – daran gab es für Constantijn Huygens keinen Zweifel – repräsentierten die glanzvolle Zukunft der holländischen Malerei. In seinen Memoiren lobt der in Kunstfragen äußerst kenntnisreiche Sekretär des Statthalters in Den Haag die „beiden hervorragenden Jünglinge aus Leiden“ in den höchsten Tönen und sieht sie bereits in jungen Jahren mit den großen Meistern wie Rubens und Tizian wetteifern. Jan Lievens und Rembrandt, nahezu gleichaltrig, waren talentiert, wissbegierig und voller Ambitionen. Sie teilten sich eine Werkstatt, versuchten sich an denselben Bildthemen und inspirierten sich gegenseitig. Dies ging so weit, dass bereits die Zeitgenossen ihre Werke verwechselten (Rembrandts „Raub der Proserpina“ wurde im Inventar des Hofes in Den Haag als ein Werk des Jan Lievens geführt). Der kunsthistorischen Forschung sollte es einige hundert Jahre später nicht besser ergehen, wie die zahlreichen Korrekturen von Zuschreibungen zeigen. Ein Zeugnis dieser einzigartigen Künstlerfreundschaft, aber auch des wechselhaften Schicksals so mancher Werke der beiden Künstler stellt diese Tafel dar, ein Selbstbildnis des Jan Lievens von 1628 (Schnackenburg, op. cit., passim). Der Künstler schaut den Betrachter mit intensivem Blick an, eine dunkle Kapuze bedeckt seinen Kopf. Der Mund ist leicht geöffnet, als spräche er zu uns, oder als sei er über etwas erstaunt. Ein schmaler Oberlippenbart ziert sein Gesicht. Sein Antlitz ist von links beleuchtet, wie es bei Selbstportraits von rechtshändigen Künstlern üblich ist, die rechte Gesichtshälfte ist entsprechend verschattet. Die malerische Ausführung ist im Gesicht „körnig-dicht und naturalistisch in der Wiedergabe der Hautoberfläche“ (Schnackenburg), der Bereich der Schulter hingegen ist mit breiten, trockenen Pinselstrichen nur angedeutet. Das Gemälde wurde bei seiner Wiederentdeckung zunächst Rembrandt zugeschrieben (Bredius, op. cit.). Als Vergleichsbeispiel diente ein anderes Selbstportrait des Rembrandts von 1628, das in Bezug auf die Kopfhaltung und den leicht geöffneten Mund vergleichbar ist (Abb. 1; Indianapolis Museum of Art, Inv.-Nr. 2023.4). Es kamen bald jedoch Zweifel an der Zuschreibung auf. Rosenberg, Gerson und Bauch verbannten das Gemälde in ihren Werkverzeichnissen zu den zweifelhaften und abgeschriebenen Werken Rembrandts. Für das Rembrandt Research Project schließlich handelte es sich lediglich um das Werk eines späteren Nachfolgers (was durch die dendrochronologische Analyse widerlegt werden sollte). Bei der Durchsicht der Literatur fällt auf, dass sich die Forschung immer nur mit der Frage beschäftigt hat, ob es sich um ein Werk Rembrandts handelt oder nicht. Mit der Frage nach dem eigentlichen Schöpfer dieses Selbstportraits hat sich erst Schnackenburg befasst, der es als ein Werk des Jan Lievens erkannt und in seine Monographie zum Künstler aufgenommen hat. Schnackenburgs Zuschreibung der Tafel an Jan Lievens ist in der Folge von einer Reihe namhafter Experten nach Begutachtung des Originals bestätigt worden. Schnackenburg betont den „porträthaften Charakter“ des Gemäldes und sieht die „typischen Gesichtsmerkmale von Jan Lievens“ in diesem Selbstportrait, „seine leicht vortretenden Augen mit betonten Unterlidern, die im Vergleich mit Rembrandt spitze Nase und Kinn und als spezielles Erkennungszeichen den dünnen Oberlippenbart“ (Schnackenburg, op. cit., S. 251). Er verweist dabei auf ein anderes Selbstportrait von Jan Lievens (Kopenhagen, Statens Museum for Kunst, Inv.-Nr. KMSsp413) sowie das Portrait des Künstlers in Antonis van Dycks „Iconographie" (Abb. 2). Die Zuschreibung an Jan Lievens wird zudem durch eine dendrochronologische Untersuchung gestützt: Das Holz der Tafel stammt von einem Baum, der um 1622 gefällt und nach 1626 verwendet wurde. Und nicht nur das: Holz desselben Stammes wurde auch für eine Reihe anderer bedeutender Frühwerke von Rembrandt und Jan Lievens als Bildträger verwendet, darunter Rembrandts berühmtes Selbstportrait in Nürnberg (Abb. 3; Germanisches Nationalmuseum), seine Gemälde „Samson und Delila" sowie „Andromeda" (beide Gemäldegalerie, Berlin), von Jan Lievens unter anderem die „Halbfigur einer alten Frau mit Kapuzenumhang" (Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden). (1) Portraits und Selbstportraits bilden eine zentrale Werkgruppe im Œuvre der beiden jungen Künstler während ihrer Leidener Zeit. Sie stellten sich und den anderen grinsend, lachend, dann wieder mit erstauntem oder skeptischem Gesichtsausdruck dar. Sie trugen dabei Rüstungen, fantastische Gewänder und exotische Kopfbedeckungen. Die Gemälde dienten dazu, die Gestaltung des Lichts sowie die Darstellung von Affekten zu erproben. So zählen die frühen Portraits und Selbstportraits von Rembrandt und Lievens streng genommen zur Gattung der Tronies, klein- und mittelformatige Kopfstudien, die der flämischen Werkstattpraxis entstammten und sich in Holland zu einer eigenständigen, auf dem Kunstmarkt äußerst erfolgreichen Bildform entwickelten. Schnackenburg vermutet, dass Lievens während der Entstehung dieses Selbstportraits zur Erkenntnis gelangte, dass „Rembrandts Methode der mimischen Selbststudien vor dem Spiegel nicht sein Weg“ sei und erklärt damit die skizzenhafte Ausführung des Schulterbereichs. Wie in der Werkstatt üblich wurden Kopien des vorliegenden Selbstportraits hergestellt, von denen eine Dirck Lievens, dem Bruder des Künstlers, zugeschrieben wird (Rouen, Musée des Beaux-Arts, Inv.-Nr. 1975.4.77; Schnackenburg, op. cit., S. 251). Die Jahre um 1628 hat Schnackenburg als eine „Phase des intensiven Austauschs“ und der „symbiotische[n] Kooperation“ zwischen Jan Lievens und Rembrandt bezeichnet. Die „beiden hervorragenden Jünglinge aus Leiden“ teilten miteinander das Atelier, die Materialien und die Bildideen – dieser enge künstlerische Austausch zeigt sich in diesem Selbstbildnis des Jan Lievens. Bald schon sollte jeder seinen eigenen Weg gehen, Rembrandt siedelte nach Amsterdam über, Jan Lievens zog nach London und später nach Antwerpen – beide aber sollten Constantijn Huygens hohe Erwartungen erfüllen.

Anm. 1: Zu weiteren Tafeln, die vom selben Baum stammen, vgl. die verschiedenen Bände des Rembrandt Research Project, sowie: Christiaan Vogelaar: Ten Years
of Struggle, Rembrandt in Leiden and Amsterdam, 1624-1634, in: Ausst.-Kat. Leiden 2019: The Young Rembrandt, Leiden 2019, S. 19-20. Zu Jan Lievens‘
Tafeln vom selben Baum vgl. Schnackenburg, op. cit., S. 75.

Zertifikat

Bericht der dendrochronologischen Untersuchung: Prof. Dr. Peter Klein, Universität Hamburg, 16.11.2016.

Provenienz

Asscher, Koetser and Welker, London, 1926. - Koninklijke Kunstzaal Kleykamp, Den Haag, 1928. - Kunsthandel Mettes, Den Haag, ca. 1929. - Colin Agnew, London/New York, 1930. - Slg. Consul lvar Hellberg, Stockholm, 1938. - Auktion Bukowski's, Stockholm, 8.11.1961, Lot 218. - Auktion Koller, Zürich, 18.9.2013, Lot 6511 (als Nachfolge Rembrandt). – Deutsche Privatsammlung.

Literaturhinweise

W. R. Valentiner: The Thirteenth Loan Exhibition of Old Masters: Paintings by Rembrandt, Detroit 1930, Nr. 4. - A. Bredius: Rembrandt, Schilderijen, Utrecht 1935, Nr. 14. – M. J. Friedlander u. C. G. Laurin: Alte Gemälde aus der Sammlung lvar Hellberg Stockholm/Malmö 1938, n. p., m. Abb. (ein Werk Rembrandts). - B. G. Wennberg u. G. Engwall: Mitt basta konstverk: konst ur stockholmshem, Stockholm, 1941/42, Nr. 60. - J. Rosenberg: Rembrandt, Life and Work, Cambridge 1948, S. 371, (zweifelhaftes Werk Rembrandts). - J. Rosenberg: Rembrandt, Life and Work, 2. Aufl., London 1964, S. 371 (nicht authentisches Werk Rembrandts). – K. Bauch: Rembrandt, Gemälde, Berlin 1966, S. 47 (möglicherweise Kopie nach einem verlorenen Original Rembrandts). – A. Bredius u. H. Gerson: Rembrandt, The Complete Edition of the Paintings, London,1969, Nr. 14, m. Abb., App. S. 535 (nicht von Rembrandt). - P. Lecaldano: The Complete Paintings of Rembrandt, London, 1973, S. 133 (unter “Andere Rembrantesque Arbeiten”). - J. Bruyn et. al.: A Corpus of Rembrandt Paintings, Bd. I, Dordrecht/Boston/Lancaster 1982, S. 658-661, Nr. C 40 (Nachahmung wohl des 17. Jahrhunderts). - B. Schnackenburg: Jan Lievens, Friend and Rival of the Young Rembrandt, Petersburg 2016, S. 75, 78, 79, 97, 137, S. 249-251, Nr. 69, Abb. S. 250 (als Jan Lievens).

Ausstellung

Tentoonstelling van schilderijen door oud­ Hollandsche en Vlaamsche meesters, Koninklijke Kunstzaal Kleykamp, The Hague, 1928, Nr. 32 (als Rembrandt). - The 13th Loan Exhibition of Old Masters; Paintings by Rembrandt, Detroit Institute of Arts, 1930, Nr. 4. - Exposition de cent tableaux des maîtres anciens de cinq siècles, Cvijeta Zuzoric Art Pavilion, Belgrade, 1932, Katalog G. Glück, Nr. 98. - Kung! Akademien for de fria konsterna, Mitt basta konstverk: en konsthistorisk oversit Ji·an utstallningen, Stockholm, 1941/2, Nr. 60 (als Rembrandt).