50 Jahre Innovation im Zeichen des Zepters

Porzellan der KPM Berlin 1918–1968

Bereits wenige Monate nach Ende des Ersten Weltkriegs, der Abdankung des Deutschen Kaisers und der Ausrufung der Republik entschieden sich die politisch Verantwortlichen zur Umbenennung der altehrwürdigen Berliner Porzellan-Manufaktur: aus der Königlichen wurde die Staatliche. Aus Gründen der Traditionspflege, aber auch im Hinblick auf eine gewisse Kontinuität auf dem Gebiet des werbetechnischen Marketings, blieb das alte kurfürstlich-brandenburgische Zepter als Signet des Betriebs ebenso erhalten wie das Kürzel KPM. Auf dem immer wichtiger werdenden US-amerikanischen Absatzmarkt warb man auch mit dem Namen Royal Berlin.

Mit dieser Umfirmierung begann eine etwa 50 Jahre andauernde Periode, in deren Verlauf zahlreiche künstlerische, technische und strategische Innovationen den Kurs der Berliner Staatsmanufaktur prägten, die weiterhin als der Vorzeigebetrieb der gesamten deutschen Porzellanindustrie als Vorbild dienen sollte. Zunächst ermunterte der artistische Leiter der Manufaktur Theo Schmuz-Baudiss einige seiner fähigsten Mitarbeiter – die wie er lange unter den konservativen und in Kunstfragen den Retrovorlieben des Herrscherhauses ergebenen Beamten gelitten hatten – zu freieren Entwürfen in Form und Dekor. Diese bislang unterdrückte Offenheit ging mit einer gewissen Neuorientierung an zeitgenössischen Strömungen in der Kunstwelt einher, die im Direktorat von Nicola Moufang zwischen 1925 und 1928 ihre Blüte entfaltete. Unter Moufang kooperierte die Manufaktur eng mit dem aus namhaften Künstlern bestehenden Lehrerkollegium der Berliner Kunsthochschule, den unter Bruno Paul ab 1924 reformierten Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst. Neben den Modellen und Malereientwürfen der etablierten Maler, Bildhauer und Kunsthandwerker, die nun für die KPM arbeiteten, wurden in der gemeinsam betriebenen Keramischen Fachklasse auch talentierte Nachwuchshoffnungen ausgebildet. Zusätzlich nutzte Moufang sein weitverzweigtes Netzwerk, um auch freie Künstlerinnen und Künstler wie Ruth Schaumann, Richard Seewald oder Tommi Parzinger zur Entwurfstätigkeit für die KPM heranzuziehen und eine ganz eigene, verspielt-elegante Form des Berliner Art Déco zu etablieren.

Ebenfalls noch in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre wurde zur internationalen Etablierung der Marke KPM eine vorwärts gerichtete Werbestrategie begonnen, die aus zahlreichen Ausstellungsbeteiligungen im In- und Ausland, der völligen Modernisierung der Verkaufsräume am Leipziger Platz durch berühmte Künstler, einer vom jungen Graphikkünstler Johannes Boehland ersonnenen, weitreichenden Corporate Identity und öffentlichkeitswirksam an wichtige Personen gerichtete Porzellangeschenke aus dem traditionellen Firmenschatz bestand.

Im Anschluss an Moufang prägte fast zehn Jahre der feinsinnige Günther von Pechmann die Geschicke der Manufaktur. Ihm oblag die wichtige Aufgabe, die KPM ins Maschinenzeitalter zu überführen, d.h. moderne Gebrauchsporzellane entwerfen und fertigen zu lassen, die sowohl den an Form ohne Ornament orientierten Zeitgeist repräsentierten sollten als auch einfach maschinell vervielfältigt werden konnten. Selbstverständlich mussten diese neuen Modelle für die sogenannte neue Wohnung auch künstlerisch überzeugen und durften in Zeiten der wirtschaftlichen Weltkrise nicht den preislichen Rahmen sprengen. Zwei besondere Künstlerpersönlichkeiten halfen der Manufaktur und ihrem Direktor, diesen anspruchsvollen Auftrag erfolgreich auszuführen: Zum einen brachte die ehemalige Bauhaus-Schülerin Marguerite Friedlaender als Leiterin der in Kooperation zwischen der KPM und der Staatlich-Städtischen Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein in Halle/Saale neu eingerichteten Porzellanwerkstatt ihre schlichten, handwerklich perfekt durchdachten Modelle zur Serienreife. Zum anderen erwuchs der KPM mit der in der Keramischen Fachklasse ausgebildeten jungen Gestalterin Trude Petri manufakturintern eine Kraft, die mit ihren funktionellen Entwürfen die an sie gestellten Aufgaben meisterhaft löste. Für weitere Innovationen sorgten die Forscher der Chemisch-Technischen Versuchsanstalt der Manufaktur, die – den Ansprüchen der Zeit folgend – neue Dekorationsarten ersonnen, da die unter Moufang favorisierte dekorative Porzellanmalerei zum Teil nicht mehr zeitgemäß, auf jeden Fall jedoch nur noch schwer zu finanzieren war.

Auf der einen Seite wurden hier technische und Labor-Porzellane, die seit jeher einen großen Teil des Umsatzes ausgemacht hatten, in undekorierte Gebrauchsgegenstände und/oder Serviceteile umgewandelt. Andererseits entwickelten die Chemiker nun gänzlich neue Formen des Oberflächenschmucks für die modernen Service, Schalen, Vasen und Dosen, die nun entweder ganz in Weiß oder in Seladon, Craquelé, Basalt oder mit Lüsterdekor angeboten werden konnten.

Noch bis in die 1940er Jahre entstanden so in der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Berlin Kunst- und Gebrauchsporzellane, die in Bezug auf den damals vorherrschenden International Style und den Einfluss des Bauhauses auf die damalige Kunsthandwerkproduktion als zeitgemäß modern bezeichnet werden können. Auch auf den Gebieten der Malerei und des Reliefdekors erfuhr die Produktion neue Impulse durch fähige Persönlichkeiten wie Else Möckel und Gerhard Gollwitzer.

Zwar waren Direktor Pechmann und seine oft progressiven Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereits ab 1933 immer wieder von den nationalsozialistischen Machthabern bedrängt worden, doch die großen Erfolge im In- und Ausland retteten die Manufaktur einige Zeit vor einer politischen Einflussnahme. 1938 wurde Pechmann dann doch aus seinem Amt entfernt, allerdings konnte der für die KPM zuständige Preußische Finanzminister Johannes Popitz, statt eines Parteibonzen den ausgewiesenen Porzellanfachmann und ehemaligen Meissen Direktor Max Adolf Pfeiffer als Nachfolger einsetzen. Unter diesem gelang ein neuer, wenn auch kriegsbedingt nur kurzer Aufschwung der Porzellanplastik, die in der Ausschmückung der Staatsoper Unter den Linden und dem von Paul Scheurich konzipierten Tafelaufsatz ‚Geburt der Schönheit‘ ihre Höhepunkte fand.

Mit der weitreichenden Zerstörung des Manufakturgeländes und der Fertigungsstätten im Berliner Tiergarten durch alliierte Bombenangriffe im November 1943 endete zwar ein wichtiges Kapitel in der Geschichte der KPM, jedoch öffnete sich durch die bereits zuvor beschlossene und jetzt zügig durchgeführte Evakuierung der noch vorhandenen Arbeitskräfte und aller noch erhaltener Produktionsmittel in eine Ausweichfabrik in der oberfränkischen Porzellanstadt Selb ein neues. Hier konsolidierte sich die KPM bald nach Kriegsende unter dem neuen Direktor Werner Franke zunächst durch den Wiederaufbau der technischen Abteilung, schon nach kurzer Zeit entstanden aber auch wieder neue Formen 307 für Kunst- und Gebrauchsporzellan. Die rasante wirtschaftliche Entwicklung West-Deutschlands in den 1950er und 60er Jahren führte zu einer stetig wachsenden Nachfrage nach modernem Porzellan mit zeitgenössischer Dekoration. Für die Modelle waren weiterhin vorwiegend Trude Petri – ab 1949 in Chicago lebend und arbeitend – und Siegmund Schütz verantwortlich, nach 1952 auch der ehemalige Schüler Friedlaenders Hubert Griemert. Für die passenden Dekore der neuen Stücke sorgten insbesondere die beiden seit 1946 als künstlerische Entwerferinnen fest angestellten Künstlerinnen Sigrid von Unruh und Luise-Charlotte Koch, deren Einfallsreichtum und technische Fähigkeiten das Gesamtbild der Manufaktur über mehr als 20 Jahre entscheidend prägte.

Ab 1955 produzierte man wieder in den aufwändig modernisierten Werkstätten in Berlin, wobei die Auslagen der Manufakturverkaufsstellen nach Teilung und Mauerbau auch immer als (Schau-)Fenster der freien Welt verstanden wurden. Einen neuen artistischen Impuls brachte die anlässlich der 200-Jahr-Feier der KPM 1963 erfolgte Einsetzung von Stephan Hirzel als Revisor der Produktion und künstlerischen Berater für neue Entwicklungen. Ihm gelangen durch die Beauftragung externer, etablierter sowie aufstrebend junger Künstlerinnen und Künstler bis 1970 bemerkenswerte Erfolge bei der Modernisierung der angebotenen Porzellanpalette, ehe in den folgenden Jahrzehnten Missmanagement und politischer Filz für einen stetigen Niedergang der künstlerischen Entwicklung des sich nun in Landesbesitz befindlichen Betriebes sorgten.

1988 erhielt die Manufaktur offiziell den Namen Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin zurück, doch sollten weitere lange Jahre vergehen bis die KPM, seit 2006 in Privatbesitz von Jörg Woltmann, ästhetisch innovative und künstlerisch ansprechende Porzellane produzieren konnte. Für die Zukunft bleibt zu hoffen, dass statt des Rückgriffs auf ältere Modelle und Malereien aus der Firmenhistorie, die Entwicklung hin zu zeitgemäßen Formen und Dekoren konsequent weiterverfolgt wird. Die Geschichte hat gezeigt, dass Impulse von außen immer befruchtend auf die Angebotspalette der ältesten noch produzierenden Manufaktur Berlins gewirkt haben. Möge das blaue Zepter auch im 21. Jahrhundert noch lange als Sinnbild für Innovation und Modernität in der Porzellanherstellung stehen und die unter ihm entstandenen Objekte uns mit Freude und Staunen erfüllen. Die nach dem klassischen Aufbewahrungsgefäß medizinischer Salben oder Pasten benannte, spindelförmige Kruke-Vase war eines der ersten von Trude Petri in ihrer Wahlheimat in Chicago entworfenen Modelle, die ab November 1951 im Auslagerungswerk in Selb, ab 1955 dann im umfänglich renovierten Stammwerk der Berliner Manufaktur produziert wurde. Die schlichte Form und das ausgewogene Volumen stehen exemplarisch für Petris Streben nach klaren, zeitlos anmutenden Linien. Die Vase erhielt in den 1950er Jahren diverse Malereidekore der beiden leitenden KPM-Entwerferinnen Luise-Charlotte Koch und Sigrid von Unruh. Hier gezeigt werden zwei sehr seltene und zeittypisch-interessante Beispiele in den typischen KPM-Farben der Zeit, beide vertikal gegliedert, einmal durch einfarbige Fondstreifen, einmal mit durch Schwingungen entstehende Flächen und Muster. In beiden Fällen gehen Form und Dekor eine perfekt harmonierende Allianz ein.