Die Kunst von Christian Boltanski gilt der Erinnerung und kämpft gegen das Vergessen. Die Toten, die keiner kennt, die Verschwundenen, die jeder verdrängt, holt er aus ihren dunklen, schattigen Höhlen heraus und stellt sie und ihr Schicksal ins Licht der Öffentlichkeit.
(...) WeiterlesenChristian Boltanski - Der Holocaust als lebensgestaltende Erinnerung
Christian Boltanski wurde am 6. September 1944 in Paris kurz nach dem Ende der deutschen Besatzung geboren. Sein Vater war ein aus der Ukraine stammender jüdischer Arzt, seine Mutter eine politisch links ausgerichtete Katholikin. Sein älterer Bruder Luc Boltanski ist ein bekannter französischer Soziologe. Auch aufgrund seiner jüdischen Abstammung gehört der Holocaust zu den prägenden Erinnerungen für Christian Boltanski; das Gedenken an die Schoah begleitete nicht nur seine Kindheit, sondern ist zu einem wichtigen Gegenstand seiner künstlerischen Arbeit geworden. In den Installationen des Künstlers sind die dunklen Themen Tod und Vergänglichkeit allgegenwärtig – verbunden durch das Motiv der Erinnerung, die für Christian Boltanski ein unverzichtbarer Schlüssel zum Leben darstellt. Nicht immer sind diese Erinnerungen spezifisch authentisch, so in den von ihm mit viel Akribie erstellten Pseudo-Dokumentationen seines Lebens: Dabei handelt es sich um kleine Hefte oder Beiträge in Kunstzeitschriften, in denen er seine eigene Biografie mit Erinnerungsstücken seiner Freunde und Bekannten vermischt, sich deren Familienfotos aneignet und mit bewusst falscher Quellenangabe versieht. Damit wird das einzelne Individuum zum Zerrbild der Gesellschaft.
Die Inventare eines Menschenlebens als künstlerische Installation
Christian Boltanski ist bekannt für seine Inventare, umfangreiche Installationen, die sich aus den persönlichen Besitztümern wirklicher und fiktiver Personen zusammensetzen. Sie sind letztlich eine konsequente Weiterentwicklung seiner künstlerischen Anfänge in den späten 1960er-Jahren, als er Vitrinen mit Kinderspielzeug und Süßigkeiten befüllte, um das Typische einer bürgerlichen Kindheit zu umreißen. Von den Spielzeugwaffen, handgeformten Erdkugeln und Zuckerstücken war der Schritt zu ganzen Zimmern, garniert mit den Besitztümern verstorbener, unbekannter Personen, die der Künstler überwiegend auf verschiedenen Flohmärkten zusammenklaubt. Für den Kunsthistoriker Armin Zweite erhält diese Zusammenstellung des Nutzlosen und Banalen seinen Sinngehalt nur durch die Gedankenwelt des Betrachters, der sich zwangsläufig nicht gegen die Spekulation zu wehren vermag, dass gerade diese vordergründig uninteressanten, bedeutungslosen Gegenstände für eine bestimmte, verstorbene und verschwundene Person eben doch von hoher Bedeutung waren. Es sind Erinnerungsstücke, deren zugehörige Erinnerung dem Publikum vorenthalten bleibt – und gerade darum große Neugier und Anteilnahme weckt und zur kritischen Hinterfragung der eigenen Existenz auffordert.
Die Kunst von Christian Boltanski ist ein Archiv der Erinnerung
Christian Boltanski, der neben seiner Objektkunst auch ein starkes Interesse an der Fotografie entwickelte, wurde mit seinen innovativen Installationen zu einem gefragten Künstler. 1972 nahm er zum ersten Mal an der documenta in Kassel teil. Der Künstler ruhte sich nicht auf diesen Erfolgen aus, sondern experimentierte weiter: In den 1980er-Jahren warf er für seine Installationen die Schatten mysteriöser Gestalten an die Wände. Für die Installation El Caso (»Der Kriminalfall«) arrangierte er Fotografien aus dem gleichnamigen spanischen Boulevardblatt, auf denen Täter und Opfer von mehr und minder schweren Kriminalfällen zu sehen waren. Für seine Kunst erhielt Christian Boltanski Preise und Auszeichnungen, darunter 1994 den Kunstpreis Aachen und 2006 den Praemium Imperiale.
Bis zu seinem Tod am 14. Juli 2021 lebte und arbeitete Christian Boltanski in der französischen Gemeinde Malakoff südlich von Paris.
Christian Boltanski - Werke, die bereits im Kunsthaus Lempertz verkauft wurden: