Ernesto Tatafiore

Ernesto Tatafiore, geboren 1943 in Marigliano, Neapel, wurde durch seinen Onkel und seinen Vater mit der bildenden Kunst vertraut gemacht. Schon als Kind habe er gerne gemalt und mit Meerwasser, Sand und Steinen gespielt, erinnert sich der Künstler in der Rückschau. Wie sein Vater studierte er aber zunächst Medizin und wurde Arzt. Als promovierter Psychiater konnte er seine Werke 1965 zum ersten Mal auf der IX. Quadriennale Nazionale d'Arte in Rom ausstellen. 1969 beschickte er seine erste Einzelausstellung in der Galerie von Lucio Amelio. Weil seine Bilder schon damals eine ethische Verbindung zwischen Kunst und Geschichte thematisierten, wurden sie von dem italienischen Kunsthistoriker Achille Bonito Oliva unter dem Begriff »Neo-Aufklärung« zusammengefasst. Das Thema Geschichte mit all seiner Komplexität blieb eine beherrschende Größe im Werk von Ernesto Tatafiore, der 1980 seine Bilder auch in der von Oliva und Harald Szeemann kuratierten ersten Sektion Aperto auf der 39. Biennale di Venezia präsentieren konnte.

Ernesto Tatafiore entwickelte in seinem künstlerischen Schaffen eine geradezu obsessive Faszination für die französische Revolution, deren tragende Figuren immer wieder in seinen Bildern auftauchen. Insbesondere deren ambivalenten Dioskuren Robespierre und Danton sind wiederkehrende Gestalten, die der Künstler nutzt, um die vertrauten Schemen der Geschichtsschreibung aufzubrechen. Die Revolution wird zur Metapher für den gesellschaftlichen Umbruch, aber auch zum düsteren Menetekel einer drohenden Katastrophe. Ein weiteres Motiv, das Ernesto Tatafiore stark fasziniert, ist der tragische Untergang des Ozeandampfers Titanic im Jahr 1912. Hier findet der Künstler ein starkes Bild für die menschliche Hybris, die im trügerischen Gefühl der eigenen Unantastbarkeit auf alle Vorsichts- und Sicherheitsmaßnahmen verzichtet. Für den Künstler wurzelt diese ständige Selbstüberschätzung des Menschen auf Illusionen, die mitunter hart an der Realität zerschmettert werden – wie die Titanic an einem Eisberg zerschellte. Die Energie, die dabei wirkt, möchte Tatafiore mit seinen Bildern aufnehmen und erfahrbar machen. Ähnliches bewegt ihn bei seinen Darstellungen des Vulkans Vesuv: Der Mensch kann die Natur ausbeuten, aber ihrer urgewaltigen Rache hat er kaum etwas entgegenzusetzen.

Ernesto Tatafiore hat das spielerische Element seiner Kindheit, als er Bilder aus Sand, Steinen und Wasser arrangierte, in seine bildende Kunst übertragen. Die Arbeit mit unterschiedlichen Werkstoffen ist nach wie vor charakteristisch für das Werk des Italieners, das sich von den Anfängen zwischen Konzeptkunst und Arte Povera im Lauf der Jahre entfernt hat. Ernesto Tatafiore malt seine Bilder mit einem leichten und flinken Strich, was einerseits im Kontrast zu den schweren Themen steht, die er behandelt, andererseits aber auch eine neue Ebene der Zugänglichkeit erschließt. Die Hinzufügung von Schriftelementen trägt auf mitunter paradoxe und absurde Weise dazu bei, eine veränderte Darstellung der Wirklichkeit zu konstruieren.

Ernesto Tatafiore lebt und arbeitet in Neapel.