Francesco Solimena
Anbetung der Hirten
Öl auf Leinwand (doubliert). 98,5 x 68,5 cm.
Diese Anbetung der Hirten stellt einen eigenhändigen Bozzetto Francesco Solimenas für dessen Altargemälde in der Kirche Santa Maria Donnalbina dar, wie Nicola Spinosa dargelegt hat (vgl. Gutachten Spinosa 2011). Das Bild zeigt mit wenigen Abweichungen die endgültige Komposition und nimmt entsprechend eine zentrale Stellung in der Genese des Altargemäldes ein, das Teil eines bedeutenden Ausstattungsprogramms für die Neapolitanische Kirche war.
Die Muttergottes, die den Hirten das Jesuskind präsentiert, bildet den Mittelpunkt der Komposition. Von allen Seiten strömen Hirten herbei, vom Himmel streuen Engel Blüten auf die Heilige Familie. Solimena stellt das freudige Ereignis der Geburt des Heilands mittels einer opulenten Figurenkomposition in strahlenden Farben dar. Das Jesuskind bildet die zentrale Lichtquelle, die Maria, Joseph und die um die Heilige Familie gruppierten Hirten erleuchtet. Entgegen der Bildtradition konzipiert Solimena die Szene nicht als dunkles Nachtstück, sondern lässt zudem ein gleißendes Licht von oben links ins Bild fallen, das die gesamte Szenerie hell erstrahlt. Die zahlreichen Figuren sind bewusst unterschiedlich gestaltet; ein Hirte spielt auf der Flöte, ein anderer, in Rückenansicht zu sehen, hebt zum Gruß seinen Hut, eine Frau küsst die Füße des Jesuskindes, eine andere faltet die Hände zum Gebet, wiederum eine andere führt ihren Jungen zum Neugeborenen. Trotz des scheinbaren Gewimmels folgt die Komposition einer erkennbaren Ordnung, der Bildraum ist klar strukturiert, das Bildfeld ist in drei Register unterteilt. Das Kolorit wird dominiert durch das helle Gelb und Ocker, das dem Bild den festlichen, leuchtenden Charakter verleiht.
Der vorliegende Bozzetto kommt mit Ausnahme von wenigen Änderungen dem finalen Bild sehr nahe, wie der Vergleich zwischen dem vorliegenden Bozzetto und dem ausgeführten Altargemälde zeigt. Die Haltung des Schafes unten rechts ist etwas verändert und einer von zwei Engeln, die links zwischen den Pfeilern erscheinen, ist auf dem Altargemälde verschwunden. Ansonsten repräsentiert der Bozzetto Solimenas finales Bildkonzept. Die Werkgenese wird deutlich, wenn man einen ersten Bozzetto Solimenas sowie eine Kreidezeichnung Solimenas hinzuzieht, die dem vorliegenden Bozzetto zeitlich vorangehen.
Der - unvollendete - Bozzetto aus der Sammlung De Giovanni in Neapel zeigt noch grundlegende Unterschiede in der Figurenkomposition und im Kolorit im Vergleich zum vorliegenden Bozzetto und damit auch zum Altargemälde (vgl. Ausst.-Kat. Neapel/Wien 1994: Barock in Wien. Kunst zur Zeit der österreichischen Vizekönige. Neapel 1994, S. 200-201, Nr. 34): Das Jesuskind ist anders positioniert, Maria hat die Hände zum Gebet gefaltet und die Rückenfigur des Hirten hält - vom Licht des Jesuskindes geblendet - die rechte Hand vor sein Gesicht. Das Kolorit erscheint zudem noch dunkler, es fehlen die leuchtenden Farben, die das Kolorit des Altargemäldes prägen sollten.
Die Kreidezeichnung Solimenas, die heute in der Albertina in Wien aufbewahrt wird (Vergleichsabb.; Inv.-Nr. 24385), zeigt ein weiteres Stadium innerhalb der Genese des Bildes. Hier erscheint die Komposition, vor allem die räumliche Staffelung, noch nicht endgültig gelöst. Die Skizze zeigt jedoch bereits, wie Solimena durch das Spiel von Licht und Schatten die zahlreichen Figuren zu einer Gesamtkomposition vereint. Der Künstler hat einige Änderungen im Vergleich zum De Giovanni-Bozzetto vorgenommen, so nimmt die Heilige Familie die endgültige Position auf, und taucht hier bereits die Rückenfigur des grüßenden Hirten auf. Die Repoussoir-Figur der Frau mit dem Eierkorb im Vordergrund fehlt jedoch; satt ihrer ist eine hockende weibliche Figur zu sehen, die scheinbar auf ein eigenes Kleinkind in einem Körbchen schaut - und entsprechend nicht in das Geschehen eingebunden ist.
Die Anbetung der Hirten für die Kirche Santa Maria Donnalba in Neapel war Teil eines Auftrags, der in Bedeutung und Umfang zum sakralen Hauptwerk Francesco Solimenas gezählt werden kann. Das monumentale Altargemälde (390 x 240 cm) schmückte das Querhaus der Kirche, diesem war eine Anbetung der Könige gegenübergestellt. Altargemälde mit der Verkündigung, der Heimsuchung, der Flucht nach Ägypten, und dem Traum des Josef sowie ein Kuppelfresko mit dem Paradies bildeten weitere Aufträge Solimenas für die Kirche. Die Bilder entstanden zwischen 1695 und 1701, in diese Periode ist entsprechend auch der vorliegende Bozzetto zu datieren. Es ist eine Phase, in der Francesco Solimena durch die Berufung Luca Giordanos an den spanischen Hof zum führenden Maler Neapels aufsteigt, in der er sich vom Stil seiner Vorgänger wie Mattia Preti löst und eine klassische Bildsprache entwickelt, die Nicola Spinosa als „matrice classicista e ‚neorinascimentale'“ bezeichnet hat.
Zertifikat
Nicola Spinosa, Neapel, 30.4.2011.
Provenienz
Belgische Privatsammlung.