Lot 200 Dα

Gerade in seinen Landschaften wird deutlich, dass Lesser Ury ein Maler des Lichts ist. In der "Abendstimmung am Grunewaldsee" erscheint das Bildlicht förmlich noch potenziert durch die Duplizierung des im letzten Abendrot glühenden Himmels in der Spiegelung der Seeoberfläche. Die Wahl des Bildausschnitts mit der abendlichen Wald- und Seenlandschaft ist interessant gewählt, denn die im Positiv-Negativ-Effekt vor dunklem Grund gezeigte helle Fläche des Wassers steht den dunklen Baumkronen vor hellem Grund gegenüber. Der damit erzielte Hell-Dunkel-Effekt erinnert gleichsam an ein Schattenspiel und verstärkt die zarten Pastelltöne zu einem grandios wirkenden farblichen Feuerwerk, das widersprüchlicherweise die Stille der abendlichen Szene noch zu verstärken scheint.
Als Zeitgenosse und Freund Liebermanns, mit dem er sich in den 1890er Jahren überwarf, wurde Lesser Ury auf Anregung Lovis Corinths Mitglied der Berliner Secession. Abendliche Stadtszenerien und Landschaften aus dem Berliner Umland zählen zu Urys bevorzugten Motiven.
Der 1938 emigrierte Jurist Sabersky erwarb das Gemälde "Abendstimmung am Grunewaldsee" direkt im Atelier Urys und nahm es mit in die USA. Dort kümmerte er sich um die Belange jüdischer Emigranten und spezialisierte sich in seiner anwaltlichen Tätigkeit auf Wiedergutmachungsfälle. Die gleiche Komposition zeichnete Ury noch zweimal in Pastell, wie Sibylle Groß in ihrem Gutachten weiter ausführt - ein Zeichen dafür, dass er dem Gemälde, resp. der Bildidee besonderen Gefallen entgegenbrachte.