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Lot 261 Rα

Max Liebermann - Judengasse in Amsterdam

Auktion 1134 - Übersicht Köln
31.05.2019, 17:00 - Moderne Kunst
Schätzpreis: 600.000 € - 800.000 €
Ergebnis: 856.000 € (inkl. Aufgeld)

Max Liebermann

Judengasse in Amsterdam
1909

Öl auf Leinwand 125 x 175 cm Gerahmt. Unten links braun signiert und datiert 'M. Liebermann 09'. - Partiell mit feinem Craquelé.

Im reichen Schaffen von Max Liebermann findet sich nur eine kleine Anzahl Gemälde von solch monumentalem Format wie „Judengasse in Amsterdam“ aus dem Jahr 1909. Mit wenigen Ausnahmen werden diese bedeutenden Werke heute in wichtigen nationalen und internationalen Museumssammlungen bewahrt.

Es vergeht kein Jahr, in dem Max Liebermann - nach dem ersten Mal wohl 1871 - nicht nach Holland reist. Scheveningen zählt zu seinen Lieblingsstätten, aber auch Orte wie Haarlem, Laren, Noordwijk, Zandvort und Amsterdam. Der Kunsthistoriker Max Friedländer, ein Zeitgenosse Liebermanns, stellt 1924 in seiner Biographie über den Künstler fest, dass sein Schaffen in Berlin und Holland schicksalhaft miteinander verbunden sei: Berlin halte ihn fest, während Holland ihn Jahr ums Jahr zu sich rufe (vgl. Max J. Friedländer, Max Liebermann, Berlin 1924, S. 41). Schon zehn Jahre zuvor schildert Erich Hancke, ein eher kritischer Begleiter Liebermanns in seinem 1914 bei Bruno Cassirer erschienenen Buch über das Leben des Künstlers und seine Werke: „Die Rolle, die dieses Land in seinem Leben spielt, die Wahlverwandtschaft, die ihn damit verbindet, ist ebenso rätselhaft, wie von elementarer Kraft. Sie lässt an die Wiederkunft aller Wesen denken und lockt uns mit Gedanken an ein früheres, als Holländer verlebtes Dasein.“ (Erich Hancke, Max Liebermann. Sein Leben und seine Werke, Berlin 1914, S. 113).
In Amsterdam entdeckt Liebermann große Themen: So interessiert er sich für die Konservenmacherinnen, beschreibt den Alltag des Amsterdamer Waisenhauses, das Treiben auf den Jahrmärkten und erkundet ausführlich das Judenviertel. Die jüdischen Viertel Europas, etwa in Amsterdam, in Prag und Wien, in Budapest und Berlin erweisen sich als eine in gewisser Weise geschlossene Welt, mit eigenem Rhythmus und eigenen Gesetzten des Zusammenlebens. Die Menschen leben hier mehr oder weniger in räumlich abgeschlossenen Gruppen in der Nähe der Synagoge, stehen unter der rechtlichen Aufsicht ihrer eigenen rabbinischen Gerichte und unterscheiden sich durch ihre Sprache, ihre Kleidung, ihre religiösen Gebräuche und Familientraditionen deutlich vom Rest der städtischen Bevölkerung. Für Liebermann ist speziell dieser Ort in Amsterdam unlöslich verbunden mit der Verehrung zu Rembrandt. So kann Liebermann an jenem Genius loci nicht einfach durch die Gassen streifen, ohne überall auf ihn faszinierende Themen zu stoßen. Die erste Begegnung mit diesem bunten Ort verdankt er der Bekanntschaft mit dem Malerkollegen und späteren Direktor der Amsterdamer Kunstakademie, August Allébé, der ihm im Sommer 1876 als kenntnisreicher Cicerone das Viertel näher bringt. Es entstehen erste Eindrücke, Skizzen zu Details sammeln sich zu Größerem, etwa zu Marktszenen, die Jahre später, 1884, in ein erstes Gemälde der „Judengasse“ einfließen (Eberle 1884/25): nahezu menschenleer, grau in grau die Stimmung, rote Dächer auf fahl angedeuteten Fassaden beleben die scheinbar von Liebermann gewollte reale Tristesse. Wie mit so vielen anderen Themen, beschäftigt sich Liebermann intensiv immer wieder mit diesem noch heute lebhaften Amsterdamer Stadtteil. Beeindruckende Bilder folgen: zu den Netzflickerinnen, der Alten Frau mit Ziegen, den Bauern beim Tischgebet, der Bleiche von Tüchern auf den Dünen bei Katwijk, dem Schweinemarkt in Harlem, den sitzenden Bauern in den Dünen, den Alltagsszenen mit Schulkindern in Laren und badenden Knaben im Meer.
Jahre später kontaktiert Max Liebermann am 10. Juli 1905 brieflich den Niederländischen Maler, Graphiker und Kunstkritiker Jan Veth und schreibt unter anderem: „Ich denke in 14 Tagen wieder in Holland zu sein und [...] ob ich vielleicht im Judenviertel irgend wo einen Raum haben könnte, um zu arbeiten, am liebsten mit Garten und Hof, wo man die Modelle posiren lassen könnte. Aber das wird wohl kaum zu haben sein und ich werde mich begnügen müssen, die Leute im Intérieur zu malen. [...] Entschuldigen Sie, dass ich Sie mit dergl. belästige, aber mir liegt ungeheuer viel daran, die Studien machen zu können.“ (Brief 1905/342, zit. nach: Max Liebermann, Briefe, hrsg. von Ernst Braun, Baden-Baden, 2013, Bd. 3, 1902-1906, S. 325). Liebermann plant, sich ein Zimmer in unmittelbarem Kontakt zum Markt zu mieten, um den emsigen Betrieb ungestört zu beobachten. Er stößt auf Skepsis der Bewohner, die sich von dem Skizzen fertigenden Künstler gestört fühlen in ihrem Tun. Über die gemachten Erfahrungen berichtet Liebermann an den Berliner Zeichner, Lithograph und Radierer Hermann Struck am 24. August 1905: „Ich habe es nämlich wiederum versucht, im Judenviertel zu arbeiten und ich habe schon manche Widerwärtigkeit bei Studien ausgehalten: aber uns're lieben Glaubensgenossen erreichen darin einen Rekord. Sie sind nicht mal mit Geld zu bändigen. Ich denke noch 8 Tage hier zu bleiben, dann muß ich nach Hamburg Porträts malen.“ (Brief 1905/356, op. cit., S. 340). Liebermann gelingt es, sich einen Raum mit Aussicht auf das bunte Treiben in der Jodenbreestraat zu mieten. Schon im Vorfeld berichtet Liebermann an Wilhelm Bode, dem befreundeten Generaldirektor der Berliner Kunstsammlungen: „Jetzt male ich im Judenviertel, wo ich vor länger als 30 Jahren meine ersten Studien gemacht habe. Parcequ'on revient toujours à ses premiers amours" (Brief 1905/355, op. cit., S. 340).
In den Jahren 1905 bis 1909 kehrt Liebermann immer wieder zu dem Thema der Judengasse zurück, unterbricht die Beschäftigung weitgehend, um die anderen Eindrücke seiner Holland-Aufenthalte in Berlin malerisch abzuarbeiten. Die heute im Wallraf-Richartz-Museum bewahrte Öl-Studie (s. Vergleichsabb.) aus dem Jahr 1905 erfährt mit der Erwerbung im Jahr 1909 von den zeitgenössischen Kritikern große Bewunderung wegen des „vibrierenden Leben des Pinselstrichs“ (Hancke, op. cit., S. 437) und wird von Hancke als eines der besten Gemälde Liebermanns beurteilt. Diese sehr persönliche Einschätzung wird vielleicht unterstützt von der Tatsache, dass auch der Direktor der Berliner Nationalgalerie, Hugo von Tschudi, einen Erwerb für sein Museum überlegt, sich dann aber dagegen entscheidet.
Diese vor Ort gemalten starken Eindrücke (vgl. Eberle 1905/6-12, 1907/5-9), der Straßen, der Fassaden, der Ständen des Marktes und Menschengruppen dienen dem versierten Künstler, um im Berliner Atelier seine großartigen Schilderungen des Amsterdamer Stadtlebens zu inszenieren. Noch einmal wählt Liebermann mit der Vorstudie „Gemüsemarkt in Amsterdam“ von 1908 (s. Vergleichsabb.) einen kompakten Ausschnitt, prüft er die Ausstrahlung des später gewählten Marktlebens in Form einer vor der Natur gewonnenen studienhaften Nachbildung der Wirklichkeit, welche er dann 1909 in für den Künstler stilistisch geordnete Bahnen überführt: Die Schilderung vom Durcheinander der Marktbesucher und Händler hinter ihren Ständen, die Waren prüfenden und feilschenden Käufer, die sich an der Straßenecke Uilenbugersteeg und Jodenbreestraat aufhalten sind jene Impressionen, die im Atelier zur großformatigen Komposition heranreifen. Lebendige Gesichter, überraschend buntfarbige Einsprengsel mit klarem Rot, kräftigem Blau und einer Mischung aus Grün und Gelb lassen die Palette Liebermanns erfrischen. Die Farben in den Kleidern der Frauen, in den feilgebotenen Waren auf den Marktkarren sind je nach Choreographie anschwellend, laut hervortretend oder, in der Distanz zu der zurücktretenden Perspektive, verhalten ruhig.
Liebermann scheint zu dieser Zeit nicht zuletzt unter dem Einfluss der 1903 erschienen „Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst“ von Julius Meier-Graefe zu stehen, der eine Aufgabe des Symbolismus zu Gunsten des Impressionismus fordert und dabei besonders auf die Malerei Arnold Böcklins abzielt. Der wegen seiner Kritiken gefürchtete Berliner Kunstchronist Karl Scheffler bestätigt bereits 1906 in seiner Monographie über Max Liebermann dessen Einheit von Kunst und Leben und betont jene, dem Künstler eigene bedingungslose Hingabe an die Wirklichkeit. Liebermann selbst bezeichnet sich hervorgehoben als „Impressionist“, sieht das weniger als einen Begriff für einen Malstil, sondern vielmehr als eine Weltanschauung. Neben Rembrandt ist Édouard Manet Vorbild für Liebermanns Kunstauffassung, dessen malerische Mittel, Formensprache und Vollendung bildgewordener Gedanken Liebermann nicht nur in den Skizzen, Studien und Gemälden reflektiert, sondern unter anderem mit dem Erwerb eines der berühmten Spargelstilllebens des Franzosen aus dem Jahr 1880 bekennend wertschätzt.

In großartiger Harmonie erzählt Liebermann in unserem ausnehmend großen Gemälde von 1909 das ausdruckstarke Treiben im jüdischen Viertel von Amsterdam. Man spürt sein Empfinden und die große Sympathie für das Thema, dessen nahezu unendliche Inhalte, die er in seiner erzählerischen Feinheit deutlich zur Geltung zu bringen vermag. Die motivische Authentizität der Marktsituation, eingebettet in die umgebende Architektur, die Liebermann anhand vieler vor Ort gemalten Skizzen und Studien inszeniert, ist beeindruckend und belegt durch zeitgenössische Postkarten (s. Vergleichsabb.). Fassaden, Fensterformen, Türen und deren Umleibung, das Holz der Karren - dies alles erfährt durch die Hand Liebermanns eine charakteristische Materialtreue, eine Wirkung von direkter Unmittelbarkeit, die der Maler über ein entschiedenes Colorit in diesem Werk von herausragender Qualität zur Vollendung führt.

Werkverzeichnis

Eberle 1909/1

Provenienz

1909 in Berlin verkäuflich; Sammlung Adolf Rothermundt, Dresden-Blasewitz (1910); Paul Cassirer, Berlin (1919); Max Böhm, Berlin (1923); Rudolph Lepke's Kunst-Auctions-Haus, Auktion 2039 Sammlung Max Böhm, Berlin 28. Januar 1931, Lot 29; Privatbesitz, Berlin/New York (vermutlich Frau Stahl); Galerie Grosshennig, Düsseldorf (1954); seitdem Kaufhof, Köln

Literaturhinweise

Julius Elias, Das zehnte Berliner Sezessionsjahr, in: Kunst und Künstler, Jg. VII, Heft 9, Mai 1909, S. 401 mit Abb. S. 392; Robert Schmidt, Die Achtzehnte Ausstellung der Berliner Secession 1909, in: Kunst für Alle, Jg. XXIV, 1908/1909, S. 445 mit Abb. S. 449; Hermann Voss, Die achtzehnte Ausstellung der Berliner Sezession, in: Der Cicerone, Jg. I, Heft 9, Mai 1909, S. 299; Paul Fechter, Die Sammlung Rothermundt, in: Kunst und Künstler, Jg. VIII, Heft 7, März 1910, S. 353; Karl Scheffler, Max Liebermann. Mit 100 Abbildungen nach Gemälden, Zeichnungen und Radierungen, München 1912, Abb. S. 83; Erich Hancke, Max Liebermann. Sein Leben und seine Werke. Mit 303 Abbildungen und einem Werkkatalog der Gemälde und Pastelle bis 1913, Berlin 1914, S. 445, 472, 544, Abb. S. 444; Erich Hancke, Max Liebermann. Sein Leben und seine Werke. Mit 305 Abbildungen und einem Werkkatalog der Gemälde und Pastelle bis 1913, Berlin 1923 (2., leicht veränderte Auflage, mit einem Verzeichnis der in öffentlichem Besitz befindlichen Bilder von Liebermann), S. 445, 472, Abb. S. 444; Hans Rosenhagen, Max Liebermann, Bielefeld/Leipzig 1927, S. 78, Abb. S. 77; Hans Ostwald, Das Liebermann-Buch. Mit 270 Illustrationen, Berlin 1930 Abb. S. 325; Unbekannter Autor, Sammler und Markt – Versteigerung der Sammlung Böhm (Vorbericht über die Auktion bei R. Lepke am 18.1.1931, in: Der Cicerone, Jg. XXII, 1930, Heft 23/24, S. 620 f., Abb. S. 621; Emanuel bin Gorion u.a. (Hg.), Philo-Lexikon. Handbuch des Jüdischen Wissens, Berlin 1935, Tafel 17 nach S. 432; Willy Kurth, Max Liebermann. Achtundvierzig Bilder mit einem Text von Willy Kurth (Kunst der Gegenwart Bd. III, hg. von Adolf Behne), Potsdam 1947, Abb. Nr. 45; Karl Scheffler, Max Liebermann. Mit 65 Bildtafeln und einem Nachwort von Carl Georg Heise, Berlin 1953 (3. Auflage), Abb. Nr. 55

Ausstellung

Berlin 1909 (Secession), XVIII. Ausstellung der Berliner Secession; Kat. Nr. 163 mit Abb.; Berlin 1917 (Königliche Akademie der Künste), Max Liebermann, 70. Geburtstag, Kat. Nr. 161; Zürich 1923 (Kunsthaus), Max Liebermann, Kat. Nr. 75 mit Abb. Tafel XXII; Berlin 1927 (Preußische Akademie der Künste), Max Liebermann, 80. Geburtstag, Kat. Nr. 67; Berlin 1930 (Preußische Akademie der Künste), Sammlung Max Böhm, Kat. Nr. 30 mit Abb; Berlin 1936 (Jüdische Gemeinde), Max Liebermann, Kat. Nr. 36; Wien 1937 (Neue Galerie), Max Liebermann, Kat. Nr. 43 mit Abb. („Fischmarkt in Amsterdam“); New York 1948 (French & Co.), Max Liebermann, Kat. Nr. 1; Bremen 1995/1996 (Kunsthalle), Max Liebermann. Der deutsche Impressionist, Kat. Nr. 49 mit Farbabb. S. 203; Berlin 1997 (Stiftung "Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum"), Was vom Leben übrig bleibt, sind Bilder und Geschichten. Max Liebermann zum 150. Geburtstag. Rekonstruktion der Gedächtnisausstellung des Berliner Jüdischen Museums von 1936, Kat. Nr. 36, S. 228 f. mit Farbabb.