Außergewöhnlicher Humpen mit Frauenreigen - image-1

Lot 973 Dα

Außergewöhnlicher Humpen mit Frauenreigen

Auktion 1152 - Übersicht Köln
29.05.2020, 14:00 - Kunstgewerbe
Schätzpreis: 3.000 € - 4.000 €
Ergebnis: 6.875 € (inkl. Aufgeld)

Außergewöhnlicher Humpen mit Frauenreigen

Irdenware, innen grün glasiert, außen polychromer Kaltdekor in Ölfarben mit Vergoldung. Leicht konisch, umlaufend ein reliefierter Fries aus sechs sich an den Händen fassenden Frauen vor Tuchdraperien. Der Henkel wohl nach Brandverlust wieder angesetzt, vertikaler Brandriss im Henkelbereich, Boden restauriert, Fassung punktuell retuschiert. Vergoldete und bronzierte Zinnmontierung bestehend aus Klappdeckel und Fußring. H 20,8 cm.
Südwestdeutschland oder Schweiz, zweite Hälfte 17. Jh., Umkreis Johann Georg Kern.

Johann Georg Kern (1622 - 1698) war Neffe und, wie Lise Lotte Möller belegt, auch Nachfolger Leonhardt Kerns. Genau wie dieser auf die Verarbeitung von Elfenbein spezialisiert, gibt es einige preziöse Trinkgefäße, deren Gestaltung auf ihn zurückzuführen ist. Das Motiv des Frauenreigens vor der Tuchdraperie hat er wohl mehrfach verwendet mit variierenden individuellen Details, z.B. für die Ikonographie „Die Sieben Freien Künste“ (der Elfenbeinkrug von 1658 im Württembergischen Landesmuseum) als auch für die sechs weiblichen Akte, die nicht nur den hier vorgestellten Krug aus Irdenware umfassen sondern auch einen Elfenbeinhumpen in der Sammlung des Badischen Landesmuseums Karlsruhe. Es wird vermutet, dass die weiblichen Akte möglicherweise die Titaniden darstellen, die Töchter von Uranos und Gaia und die sechs Schwestern der Titanen. Sie sind Symbolträger für menschliche Fähigkeiten: Thaia für das Sehen, Rhea für weibliche Fruchtbarkeit, Themis für instinktiven Ordnungssinn, Mnemosyne für Gedächtnis und Wissen, Phoibe für Verstand und Thetis für Mütterlichkeit.
Der hier vorgestellte außergewöhnliche Humpen lässt vermuten, dass Johann Georg Kern oder einer seiner Mitarbeiter an Hafnerware interessiert war und ein Model nach dem Vorbild des Elfenbeinhumpens geschaffen hat. Die polychrome Lackbemalung geschah nach dem Brand und ist eine zusätzliche künstlerische Leitung, die nicht in der Manufaktur entstanden sein muss. Sie betont die Räumlichkeit des Reliefs und schafft einen größeren Bezug zur Realität. Die Körper tragen ein individuelles Inkarnat, die hinterfangende Tuchdraperie ist dreifarbig, in Gold, Grün und Dunkelrot. Diese Farbdimension wird vom Elfenbeinobjekt nicht geboten, und sie steht in einem deutlichen Kontrast zu dessen Monochromie.

Literaturhinweise

Zu Johann Georg Kern s. Möller, Trinkgeschirre von Johann Georg Kern und Johann Jacob Betzoldt, in: Siebenmorgen (Hg.), Leonhard Kern (1588 - 1662) Meisterwerke der Bildhauerei für die Kunstkammern Europas, Sigmaringen 1988, S. 73 ff.
Vgl. einen Humpen mit ähnlicher Architektur, Reliefauflagen und Tupfenglasur aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bei Wyss, Winterthurer Keramik. Hafnerware aus dem 17. Jahrhundert, Bern 1973, Taf. VIII.