Johann Heinrich Tischbein d. Ä. - Der Maler mit seinen Töchtern - image-1

Lot 2080 Dα

Johann Heinrich Tischbein d. Ä. - Der Maler mit seinen Töchtern

Auktion 1160 - Übersicht Köln
14.11.2020, 11:00 - Alte Kunst
Schätzpreis: 30.000 € - 40.000 €
Ergebnis: 93.750 € (inkl. Aufgeld)

Johann Heinrich Tischbein d. Ä.

Der Maler mit seinen Töchtern

Öl auf Leinwand (doubliert). 177 x 144 cm.
Signiert und datiert in der Bildmitte, am unteren Rand der Zeichnung: Erst[er] Entwurf meines Fa[mil]iens Bilds und von mir Ausgeführt Ao 1774 J. H: Tischbein.

Tischbeins Selbstporträt mit seinen Töchtern Wilhelmine Caroline Amalie und Wilhelmine Ernestine Friederike ist ein bislang unbekanntes Familienporträt in Lebensgröße. In der Mitte des Gemäldes sitzt die ältere der beiden Töchter, selbst eine begabte Zeichnerin, an einem Zeichentisch. In ein prächtiges, hellgelbes Gewand über einem weißen Seidenrock und mit weißem Brust- und Schultertuch bekleidet, ist sie mit dem Ordnen einiger vor ihr liegender Blätter beschäftigt und richtet ihren aufmerksamen Blick zum Betrachter. Ihre Schwester steht, auf eine Kommode gestützt, links neben ihr und ist ganz ihrem Papagei zugewandt, der auf ihrer rechten Schulter sitzt. Ihre Bekleidung ist - im Gegensatz zu der ihrer Schwester - noch weniger „offiziell“ und eher verspielt. Über ihrem grünen Kleid, ebenfalls mit weißem Brust- und Schultertuch ausgestattet, trägt sie eine hellblaue Jacke, deren kurze Ärmel noch Platz lassen für die ockerfarbigen, grün gefütterten Stulpen, nicht zu vergessen die passenden grünen Schuhe. Neben den Töchtern steht im Hintergrund rechts vor seiner Staffelei der Maler selbst, in graubraunem Rock, rotem Halstuch und roten Schuhen. Sein linker Arm stützt sich auf eine Stuhllehne, die Linke hält Palette und Pinsel, die Rechte den Malstock. Auf dem Schrank an der linken Seitenwand sind vor einem Spiegel Nachbildungen des Kopfes des Laokoon, eine Frauenfigur und dahinter eine weitere Stein- oder Gipsfigur aufgestellt. Daneben ist der Papageienkäfig zu erkennen, dahinter ein schmales Bücherregal an der schmucklosen Rückwand.
Zur Entstehung des Gemäldes gibt die Zeichnung Auskunft, die Wilhelmine Amalie in ihrer rechten Hand hält. Auf der vermutlich lavierten Federzeichnung sind Komposition, Signatur und Datierung zum „ersten Entwurf eines Familiengemäldes“ zu erkennen. Diese Zeichnung zeigt aber nicht das vorliegende Gemälde, sondern entspricht der kleinformatigen Version des Gemäldes, datiert und signiert ebenfalls 1774, welches weitgehend der Beschreibung von Tischbeins erstem Biographen Josef Friedrich Engelschall folgt (Anm. 1) und das sich heute im Landesmuseum in Hannover befindet. Tischbein d. Ä. wählte für das vorliegende Gemälde ein bisher unbekanntes Format. Seine Komposition beschränkt sich hier vornehmlich auf die Gruppierung der Personen. Haltung, Gestik und Farbigkeit der Porträts als auch einige Ausstattungsgegenstände sind mit dem Hannoveraner Gemälde identisch. Tischbein löste hier jedoch, einem Zoom vergleichbar, die Porträtgruppe aus dem erzählerischen Zusammenhang des väterlichen Ateliers und rückte die nun lebensgroßen Porträts in den Vordergrund. (Anm. 2)
Tischbeins Gemälde ist ein Meisterwerk seiner reifen Porträtkunst, in dem Charakter und Habitus der jeweiligen Person zum Ausdruck kommen: die noch verspielte jüngere Tochter neben der älteren, fleißigen Schülerin und zukünftigen Malerin, gepaart mit unvergleichlich feinem, spannungsvollem Kolorit der wechselnden Stofflichkeiten, wirkungsvoll unterstützt durch das seitlich einfallende Tageslicht, während Tischbein selbst - der Vater, Witwer, Professor und Gelehrter - sich zurückhaltend neben seinen Töchtern in Szene setzt.

Dr. Marianne Heinz

(1) Engelschall, Josef Friedrich: Johann Heinrich Tischbein, ehem. Fürstlich Hessischer Rath und Hofmaler, als Mensch und Künstler dargestellt, nebst einer Vorlesung von W. J. C. G. Casparson, Nürnberg 1797, Nr. 33, S. 121; vgl. auch Bahlmann, Hermann: Johann Heinrich Tischbein, Diss. München 1911, Nr. 19, S. 72 und Ausst. Kat. Kassel 1989, Johann Heinrich Tischbein d. Ä. (1722 - 1789), Kat. Nr. 27, S. 164
(2) Genauere Auskunft über das verschollene Gemälde könnte eine 2013 bei Karl & Faber versteigerte Zeichnung (8. November 2013, Los 111) des Malers Conrad Geiger (1751-1808) geben, der, wie er auf der Zeichnung vermerkt, Tischbein 1782 in Kassel besuchte und dort das Familiengemälde skizzierte. Diese Zeichnung entspricht bis auf wenige Details sowohl der Beschreibung bei Engelschall, einschließlich der Entwurfszeichnung in der Hand der älteren Tochter Wilhelmine Amalie, als auch dem Hannoveraner Gemälde. Offenbar hat er, Geiger, das Gemälde mit lebensgroßen Porträts noch gesehen. Auch diese wird benannt als Zeichnung nach Tischbeins verschollenem Familienbildnis. Demnach gab oder gibt es noch eine weitere Version des Familienporträts.

Zertifikat

Dr. Marianne Heinz, Kassel, 19.9.2020.