Ernst Barlach
Güstrower Ehrenmal (Vorentwurf)
1927
Bronze Höhe 18,3 cm; Breite 37 cm, Tiefe 10,6 cm Am Gewandsaum unterhalb der Füße signiert 'E. Barlach' und mit dem Gießerstempel "H. NOACK BERLIN" versehen. Eines von insgesamt 15 unnummerierten, seit 1950/1951 gegossenen Exemplaren. - Mit schöner rotbrauner Patina.
In dieser Auktion sind fünf bedeutende Bronzeplastiken von Ernst Barlach aus der zweiten Hälfte seines künstlerischen Schaffenszeit versammelt. Sie verdeutlichen die überzeitliche Ausdruckskraft, die seinem beispiellosen Werk eigen ist.
Charakteristisch für das bildhauerische Oeuvre Barlachs ist die zentrale Bedeutung des Gewandes, er baut die Figur über die Gewandform auf. Sie bildet eine vereinheitlichende Hülle für den Körper und sorgt für eine Konzentration auf die Gestik und Haltung. Auch emotionale Bewegtheit kann dadurch veranschaulicht werden. Diese prägt in besonderem Maße die 1921 entstandene „Ruhe auf der Flucht I“ (Lot 160). Das biblische Thema findet seine Umsetzung, indem Joseph ein weites Tuch schützend über die sitzende Maria mit dem Kind breitet. Das Tuch und das schwingende Gewand Josephs umfangen die beiden in einer ausgreifenden Bewegung und verbildlichen die aufwühlende Situation der Vertreibung.
Anlässlich des 700jährigen Bestehens der Domgemeinde seiner Heimatstadt Güstrow gestaltete der Künstler ein Ehrenmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges. Dabei griff er auf das Motiv einer schwebenden Figur zurück, welches er bereits früher in seinem Werk entwickelt hatte. Der kleine Vorentwurf für das „Güstrower Ehrenmal“ (Lot 158) bereitete die endgültige Gestaltung des überlebensgroß und vollplastisch verwirklichten Ehrenmals für den Güstrower Dom vor, das Barlach selbst meist als „Engel“ bezeichnete: „Mein Bronzeengel hängt unter dem Domgewölbe und tut es so bewegungslos, als täte er's schon hundert Jahre“ (zit. nach: Elisabeth Laur, Ernst Barlach. Das plastische Werk, Güstrow 2006, S. 37). Der Güstrower Erstguss wurde 1937 entfernt und später eingeschmolzen, der Zweitguss befindet sich seit 1952 in der Kölner Antoniterkirche. Die Figur ist verknüpft mit vielfältigen Assoziationen zwischen Diesseits und Jenseits, Trauer und Hoffnung, Erdenschwere und Leichtigkeit.
Die „Christusmaske I“ (Lot 159) gehört zu einer Folge von Kopfstudien Christi, sie entstand 1931 in Vorbereitung einer sitzenden Gewandfigur, dem „Lehrenden Christus“. Die expressiven, asketischen Gesichtszüge sind von einer inneren Versenkung, aber auch von Willensstärke geprägt.
„Der Empfindsame“ (Lot 161) und „Der Flötenbläser“ (Lot 163) gehören in die letzte Werkphase des 1938 verstorbenen Barlach, die überschattet war von den Repressalien der Nationalsozialisten. Die schmal aufragende, in sich geschlossene Plastik des „Empfindsamen“ zählt zu den Figuren, die der Künstler im Auftrag von Hermann F. Reemtsma für das „Fries der Lauschenden“ 1935 realisierte. Dieser neunteilige Figurenfries geht auf Entwürfe für ein Beethovendenkmal in Berlin aus dem Jahr 1926 zurück, das jedoch nicht umgesetzt wurde. Erst die Förderung durch Reemtsma ermöglichte Barlach die langersehnte plastische Ausführung dieser Gewandfiguren. Auch der Plastik des „Flötenbläsers“ liegt eine Zeichnung vom Anfang der 1920er Jahre zugrunde. Das Wiederaufgreifen dieses heiter-bukolischen Themas im Jahr 1936 kann als Gegenreaktion des Künstlers auf seine belastende Lebenssituation interpretiert werden, in der er sich seit 1933 befand. Die durch das um den Körper gezogene Gewand erreichte formale Vereinheitlichung der Figur, die den „Empfindsamen“ in besonderem Maße kennzeichnet, findet sich auch bei dem „Flötenbläser. Die schräg versetzten Füße und zusammenfallenden Knie lockern diese blockhafte Haltung jedoch auf und verleihen der Figur insgesamt eine lebendig-spielerische Komponente.
Werkverzeichnis
Laur 420; Schult I 333
Provenienz
Ehem. Privatsammlung Nordrhein-Westfalen; seitdem in Familienbesitz
Literaturhinweise
Gabriele Holthuis, Ernst Barlach "Sitzendes Mädchen" (1907), "Güstrower Ehrenmal" (Vorentwurf, 1926/1927), Besucherinformation, Städtische Museen Heilbronn, Heilbronn o.J.