Jacob Philipp Hackert - Der Ausbruch des Vesuvs am 8. August 1779 - image-1

Lot 2209 Dα

Jacob Philipp Hackert - Der Ausbruch des Vesuvs am 8. August 1779

Auktion 1221 - Übersicht Köln
20.05.2023, 14:00 - 19. Jahrhundert
Schätzpreis: 100.000 € - 140.000 €
Ergebnis: 176.400 € (inkl. Aufgeld)

Jacob Philipp Hackert

Der Ausbruch des Vesuvs am 8. August 1779

Öl auf Leinwand (doubliert). 65 x 86,5 cm.
Signiert und datiert unten Mitte: Mont Vesuve de l´anné 1779. Ph. Hackert.

Unter den zahlreichen Ausbrüchen des Vesuvs im 18. Jahrhundert war keiner derart gewaltig, derart eindrucksvoll wie jener im August des Jahres 1779. Als „più famoso e terribile“ bezeichnete ihn ein italienischer Naturforscher, Sir William Hamilton beschrieb ihn als „so singular a nature, so very violent, and alarming, that it necessarily attracted the attention of every one...“ Den Gebildeten konnte nicht entgangen sein, dass der verheerendste Ausbruch der Antike exakt 1700 Jahre zurücklag, als im Jahr 79 n. Chr., ebenfalls im August, Pompeji und Herculaneum im Lavastrom untergingen und der ältere Plinius den Tod fand. Ein Augenzeuge im Neapel des Jahres 1779 war Jakob Philipp Hackert (vgl. Nordhoff/Reimer, op. cit., S. 52), sein Gemälde des Vesuvausbruchs bei Nacht, aus deutschem Privatbesitz, ist ein einzigartiges Zeugnis dieses Jahrhundertnaturereignisses.
Eine lebhafte wie präzise Schilderung des Ausbruchs, der am 8. August seinen Höhepunkt erreichte, gibt Sir William Hamilton in seinem Bericht an die Royal Society in London (Abb. 2). Sir William war englischer Gesandter am neapolitanischen Königshof, zugleich Kunstsammler, Archäologe und Vulkanologe, und all dies mit dem gleichen Enthusiasmus. Goethe schätze ihn, mit Hackert war er bekannt, denn dieser hatte Illustrationen für eine von Sir Williams Publikationen beigesteuert. Der Bericht liest sich geradezu wie eine Beschreibung von Hackerts Gemälde: Der Vesuv war bereits im gesamten Juli aktiv, die Aktivitäten steigerten sich Anfang August, bis in der Nacht des 8. August ein Feuerstrahl von der dreifachen Höhe des Berges ausbrach. Zugleich zog ein Sturm auf, Wolken und Asche verdüsterten den Himmel, zwischen den Wolken entluden sich Blitze, die Erde bebte allerorten. Hackert zeigt diesen nächtlichen Ausbruch vom Posillipo aus: Jenseits des Golfs von Neapel sieht man den Feuer speienden Vesuv, zur Linken das Castel dell'Ovo, vorne eine Gruppe einheimischer Fischer, die mit Schrecken das Naturschauspiel verfolgen.
Der Vesuv war eine singuläre Attraktion Neapels. Mochten Rom, Florenz und Venedig mit allerlei Monumenten und Kunstschätzen auftrumpfen, einen aktiven Vulkan konnten sie nicht aufbieten. Die Neapelbesucher des 18. Jahrhunderts auf ihrer Kavalierstour ließen es sich nicht nehmen, den Vulkan zu besteigen (bzw. sich hinauftragen zu lassen), wie es etwa der Fürst von Anhalt-Dessau Mitte des Jahrhunderts tat (der nach seiner Rückkehr bekanntlich die Nachbildung eines regelmäßig ausbrechenden Vesuvs in seinem Garten errichten ließ). So ist es kein Zufall, dass Jakob Philipp Hackerts erste Darstellung eines Vesuvausbruchs, jenem aus dem Jahr 1774, diese Nahansicht des Vesuvs zeigt, mit einer Gruppe wagemutiger, neugieriger Herren, die unmittelbar an einem Lavastrom stehen (Abb. 1). Es ist auch kein Zufall, dass ein anderer deutscher Fürst, der Landgraf von Hessen-Kassel, dieses Gemälde bald nach seiner Fertigstellung erwarb.
Aus der Nähe war der Vesuv ein Abenteuer, aus der Ferne, vom Posillipo aus betrachtet, ein ästhetisches Ereignis. Dort zeigte sich der Vulkan von seiner schönsten Seite, mit dem sanft ansteigenden Bergrücken und den zwei Gipfeln, dem Monte Somma und dem Grande Cono (genau genommen handelt es sich um zwei Berge). Sir William hatte in Posillipo eigens eine Villa errichtet, deren Fenster einen idealen Ausblick auf den Vesuv in der Ferne bot (Abb. 3). Am 8. August 1779 lud er, wie er berichtet, eine Schar von Gästen ein, um den nächtlichen Ausbruch gemeinsam zu observieren und zu zelebrieren. Zählte Hackert in dieser Nacht zu Hamiltons Gästen (auch wenn dieser nur von „countrymen“ spricht, die er eingeladen habe)? Hielt sich Hackert gar in der königlichen Villa in der unmittelbaren Nachbarschaft auf? Oder war er in einer der zahlreichen anderen Villen im Posillipo? In jedem Fall war Hackerts Wahl der Darstellung des nächtlichen Vesuvausbruchs vom Posillipo aus ebenfalls kein Zufall. Sie zeigt nach dem Close-Up von 1774 nun jene Ansicht, die von den kundigen Neapelresidenten als die schönste, spektakulärste und interessanteste angesehen wurde. Mit Begriffen wie „picturesque“ (malerisch) und „sublime“ (erhaben) beschreibt Hamilton den Vesuvausbruch in seinem Bericht – Begriffe, die der zeitgenössischen englischen Ästhetik entstammen; sie sind auch geeignet, dieses Gemälde Hackerts zu charakterisieren. So stellt Hackerts Gemälde nicht nur die Darstellung eines einzigartigen Naturereignisses des 18. Jahrhunderts dar; es ist auch Zeugnis einer Epoche, in der Neapel eine europäische kulturelle Elite, zu der Hackert und Hamilton gehörten, versammelte, die den Ausbruch des Vesuvs am 8. August 1779 mit dem hinreichenden ästhetischen, historischen und naturkundlichen Sachverstand verfolgte – von Posillipo aus.

Abb. 1 / Ill. 1: Jakob Philipp Hackert, Ausbruch des Vesuvs im Jahr 1774 / The Eruption of Mount Vesuvius in 1774 © Museumslandschaft Hessen Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister.

Abb. 2 / Ill. 2: Sir William Hamilton: Supplement to the Campi Phlegræi, Being an Account of the Great Eruption of Mount Vesuvius in the Month of August 1779, Neapel/Naples 1779, Titelseite/Front Page.

Abb. 3 / Ill. 3: Sir Joshua Reynolds, Portrait Sir William Hamilton, 1777, London, National Portrait Gallery.

Provenienz

Slg. Prof. Wolfgang Krönig, Köln. - 939. Lempertz-Auktion, Köln, 16.5.2009, Lot 1136. - Rheinische Privatsammlung.

Literaturhinweise

Wolfgang Krönig: Vesuv-Ausbrüche von 1774 und 1779 gemalt von Philipp Hackert, in: Medicinae et Artibus, Festschrift für Wilhelm Katner, Düsseldorf 1968, S. 51-60, Abb. 21. - Wolfgang Krönig: L`Eruzione del Vesuvio del 1779 in Hackert, H. Robert, Desprez, Fr. Piranesi ed altri, in: Scritti in Onore di Roberto Pane, Neapel 1972, S. 423-442, Abb. 1. - Ausst.-Kat. Essen 1973: Pompeji. Leben und Kunst in den Vesuvstädten, hrsg. v. Aurel Bongers, Essen 1973, Nr. 343. - Ausst.-Kat. Neapel 1990: All´ombra del Vesuvio, Napoli nella veduta europea dal Quattrocento all´Ottocento, hrsg. v. Silvia Cassani, Neapel 1990, S. 297. - Claudia Nordhoff u. Hans Reimer: Jakob Philipp Hackert 1737-1807. Verzeichnis seiner Werke. Bd. 2, 1994, S. 52, Nr. 125. - Wolfgang Krönig u. Reinhard Wegner: Jakob Philipp Hackert, der Landschaftsmaler der Goethezeit, Köln 1994, Abb. 115. - Ausst.- Kat. Frankfurt 1994: Goethe und die bildende Kunst, hrsg. v. Sabine Schulze, Frankfurt 1994, S. 412, Nr. 280, m. Abb.

Ausstellung

Pompeji. Leben und Kunst in den Vesuvstädten, Essen, Villa Hügel, 1973. - All´ombra del Vesuvio, Napoli nella veduta europea dal Quattrocento all´Ottocento, Neapel, Castel Sant´Elmo, 1990. - Goethe und die bildende Kunst, Frankfurt am Main, Kunsthalle Schirn, 1994.