Lot 102 D

Im Jahr 1914 nahm Emil Nolde an der „Medizinisch-demographischen Deutsch-Neuguinea-Expedition“ teil, seiner berühmten Südseereise. Die dabei entstandenen zahlreiche Porträtdarstellungen von Eingeborenen wirken in ihrer unbedingten Konzentration auf die Physiognomie der Menschen besonders eindrücklich. Auch auf dem hier vorliegenden Bildnis schneidet Nolde seine Darstellung unmittelbar unter dem Halsschmuck des Mannes ab, der Hintergrund ist auf ein schlichtes Hellgrau reduziert. Der ausdrucksvolle Mund hat einen strengen Zug, die Augenhöhlen sind komplett verschattet, man vermeint ein Runzeln der Stirn zu erkennen. Obwohl die unkenntliche Augenpartie eine Art Anonymisierung des Dargestellten zur Folge hat, erreicht Nolde eine individuelle, eindrückliche Schilderung von Charakter und Stimmung seines Gegenübers.
„Wie bei vielen seiner Menschendarstellungen auf den Aquarellen der Südsee hat sich Nolde auf das für ihn Wesentliche konzentriert. […] Sämtliche dekorativen, bildraumgestaltenden Zugaben erschienen Nolde wohl störend und hätten von seinem eigentlichen Anliegen, der Erfassung des Wesens der ursprünglichen Bevölkerung, abgelenkt. Die durch diese beinahe nüchterne Reduktion entstehende Klarheit führt nun zu einer feierlichen, stolzen Ausschließlichkeit. […] Mit dieser hieratischen Wirkung erreichte Nolde die Visualisierung des Urmächtigen, Göttlichen, die er in der Begegnung mit den naturverbundenen Menschen der Südsee empfand.“ (Janina Dahlmanns, in: Emil Nolde in der Südsee, Ausst. Kat. Brücke-Museum, Berlin 2002, S. 44).