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Jacob Jordaens - Die heilige Familie mit Johannes dem Täufer und seinen Eltern

Auktion 1231 - Übersicht Köln
18.11.2023, 11:00 - Alte Kunst und 19. Jahrhundert, Teil I
Schätzpreis: 300.000 € - 400.000 €
Gebot

Jacob Jordaens

Die heilige Familie mit Johannes dem Täufer und seinen Eltern

Öl auf Leinwand (doubliert). 112,5 x 148 cm.

Maria sitzt mit dem blumenbekränzten Jesusknaben in einem Korbstuhl, sie empfangen den kleinen Johannes und dessen Eltern, den Priester Zacharias und Elisabeth, auch Joseph hat sich zur Gruppe hinzugesellt. Dieses großformatige Gemälde befand sich mehr als 200 Jahre in einer westfälischen Adelssammlung und war der kunsthistorischen Forschung im Original nicht bekannt. So kam es zu unterschiedlichen Beurteilungen des Werks; Michael Jaffé hielt es für eine eigenhändige Arbeit von Jacob Jordaens, R. A. d´Hulst zweifelte daran. Erst Hans Vlieghe konnte das Gemälde im Original studieren; er hat es als ein eigenhändiges Werk des jungen Jacob Jordaens bestätigt und um 1620 datiert – eine Schaffensperiode, so Vlieghe, in der der Künstler noch keine eigene Werkstatt führte (vgl. Gutachten vom 25.11.2011).
Es handelt sich damit um die dritte Fassung dieses Themas von Jacob Jordaens´ eigener Hand, nach der ersten signierten Version im North Carolina Museum of Art, Raleigh (Abb. 2), und der zweiten in der National Gallery in London, beide mit annährend gleichen Maßen wie das vorliegende Gemälde. Wie bei anderen populären Bildthemen (etwa Aesops Fabel „Satyr und der Bauer“ oder „Das Bohnenfest“), hat Jordaens somit auch hier mehrere Fassungen geschaffen. Vergleicht man die vorliegende späteste Fassung, fallen neben kleinen Unterschieden einige markante Veränderungen auf, namentlich die Ersetzung des Vorhangs durch eine Säule und – am wichtigsten – die Ergänzung der Figur des Joseph in der Bildmitte, die von inhaltlicher und formaler Bedeutung ist: Durch ihn schließt sich die Figurenkomposition zu einem Halbkreis, während sich in den beiden Fassungen zuvor zwei Figurengruppen gegenüberstehen – was dem familiären intimen Thema angemessener erscheint.
R. A. d´Hulst hat die Schaffensperiode Jacob Jordaens´, in der dieses Gemälde entstanden ist, als die der „reichen Entfaltung zwischen 1619 und 1627“ bezeichnet. Für den jungen Jordaens ging es darum, auf dem Antwerpener Kunstmarkt mit einer eigenen Bildsprache zu reüssieren und sich aus der Masse der Künstler abzuheben. Wie für den etwas Jüngeren van Dyck war auch für ihn der 16 Jahre ältere Rubens der Leitstern. So ist ohne Rubens die monumentale, ausgewogene Komposition dieses Werks nicht denkbar, ebenso wenig eine Figur wie die kraftvolle Erscheinung des Zacharias im dunkelroten Priestergewand. Ganz eigenständig und sich von Rubens absetzend ist jedoch Jordaens´ lebensnahe, intime Darstellung der Szenerie: Wie die Erwachsenen mit Entzücken den Jesusknaben betrachten; wie Maria den Besuchern stolz ihr Neugeborenes präsentiert; wie das Kind dem ihm entgegenflatternden Vogel sanft die Hand entgegenstreckt – all dies ist lebensnah geschildert, dass man meint, einem sonntäglichen Verwandtenbesuch beizuwohnen, bei dem ein Baby bewundert wird. Diese genrehaft Lebensnähe zeigt sich auch in Details wie dem Korbstuhl (der wie die gestreifte Decke in einer Reihe anderer Gemälde auftaucht) oder dem Vogelkäfig aus kleinen krummen Ästchen, der wirkt, als habe der kleine Johannes ihn selbst gebastelt. Betrachtet man den Jesusknaben, der sich behaglich gegen die Brust seiner Mutter lehnt, vergisst man geradezu, dass der Distelfink eigentlich ein Symbol für die Passion Christi ist. Wie sehr Jordaens´ alltägliche, lebensnahe Schilderung sich von der Kunst des großen Vorbildes Rubens unterscheidet, zeigt ein beliebiger Verglich, etwa mit dessen „Heilige Familie mit dem hl. Johannes und Elisabeth“ aus der Wallace Collection, dessen formale Strenge auf Raffaels Kunst rekurriert (Abb. 3).
Neben Rubens ist es ein italienischer Künstler, dessen Einfluss sich in diesem Gemälde zeigt, jener Caravaggios. Jordaens konnte dessen Kunst mittelbar im Werk von Rubens studieren, der Caravaggios Werk aus Rom kannte. Darüber hinaus gab es in Antwerpen aber auch ein Hauptwerk Caravaggios zu bewundern, das über verschlungene Wege in die Stadt gelangte – das Altargemälde der Rosenkranzmadonna. Dieses war (gemeinsam mit einer wohl nach wie vor verschollenen Judith und Holofernes) in Amsterdam versteigert und von einem Konsortium flämischer Künstler um Rubens für die Paulskirche in Antwerpen erworben worden. Der junge Jordaens zählte neben Rubens, van Balen und van Dyck zu jenen Künstlern, die ein Werk für die bildliche Ausstattung der Paulskirche beisteuerten (Abb. 4). Caravaggios Einfluss offenbart sich hier in der Lichtregie und dem dramatischen Helldunkel, etwa das helle Licht, das auf Maria und Jesus fällt, das verschattete Gesicht des Zacharias oder die Schlagschatten, die sich auf den Händen Elisabeths und Josephs bilden. Licht und Schatten ordnen und rhythmisieren die Figurenkomposition und lenken den Blick des Betrachters von links nach rechts. Von Caravaggio lernte Jordaens zudem den Einsatz von Händen bzw. Gesten zur Strukturierung und Forcierung einer Erzählung (ein zentrales Element der Rosenkranzmadonna), wie hier im Bildzentrum bei Zacharias, Elisabeth und Joseph zu sehen.
So bündeln sich in diesem Werk die zentralen Aspekte im künstlerischen Schaffen des jungen Jordaens: seine Auseinandersetzung mit den großen künstlerischen Vorbildern Rubens und Caravaggio und sein Streben nach einer eigenen Bildsprache, die Monumentalität und Lebensnähe miteinander verbindet. So seht das Gemälde exemplarisch für den Beginn von Jordaens Schaffensphase der „reichen Entfaltung“.


Abb. 2/Ill. 2: Jacob Jordaens, Madonna mit Kind, hl. Johannes und dessen Familie / The Virgin and Child with Saint John and His Family, North Carolina Museum of Art, Raleigh © Bridgeman Images

Abb. 3/Ill. 3: Peter Paul Rubens, Heilige Familie mit hl. Johannes und Elisabeth / Holy Family with St John und Elisabeth, Wallce Collection, London © Wallace Collection / Bridgeman Images

Abb. 4/Ill. 4: Jacob Jordaens, Kreuzigung / Crucifixion, Sint-Paulskerk, Antwerp/Antwerpen © Bridgeman Images

Zertifikat

Hans Vlieghe, Bonheiden, 25.11.2011.

Provenienz

Das Gemälde stammt aus der Sammlung der adligen Familie J. zur Mühlen (Westfalen), die im 18. Jahrhundert aufgebaut wurde. - Danach durch Erbgang in Familienbesitz. - 1000. Lempertz-Auktion, Köln, 17.11.2012, Lot 1134. - Westdeutsche Privatsammlung.

Literaturhinweise

Michael Jaffé: Jacob Jordaens 1593-1678, The National Gallery of Canada, Ottawa 1968, S. 74-75. - R. A. d´Hulst: Jacob Jordaens (Ausstellungskatalog), Antwerpen 1993, S. 70-72, Abb. 11a.

Ausstellung

Münster: Meisterwerke Holländischer und Flämischer Malerei aus Westfälischem Privatbesitz, 1939, Nr. 29, Tafel XII. - Aachen: Ausstellung Flämischer und Holländischer Gemälde aus Aachener Privatbesitz, 1955, Nr. 45, Abb. 7.