Max Liebermann - Kirchgang in Laren - image-1

Lot 956 Dα

Max Liebermann - Kirchgang in Laren

Auktion 950 - Übersicht Köln
05.12.2009, 00:00 - Moderne Kunst
Schätzpreis: 300.000 € - 400.000 €
Ergebnis: 360.000 € (inkl. Aufgeld)

Öl auf Leinwand 70,3 x 100,3 cm, gerahmt. Unten rechts bräunlich signiert und datiert MLiebermann 99. - Die Rückseite mit zweiter Leinwand lose hinterspannt und auf neueren Keilrahmen, die Bildränder größer fassend, aufgezogen; sonst in sehr gutem originalen Erhaltungszustand. Im linken oberen Bildbereich mit malerischen Pentimenti einer ursprünglich leicht anders angelegten Bildkomposition.

Eberle 1899/1

Liebermann hatte das Gemälde im Sommer des Jahres 1898 im holländischen Laren begonnen, um es, wie er es gewohnt war, in den Herbst- und Wintermonaten in Berlin im Atelier auszuarbeiten und zu vollenden; vor allem die Figuren wurden später nach den zeichnerischen Skizzen und Vorstudien ergänzt und in die große Dorflandschaft definitiv eingebunden. Vom Motiv entstanden auch zwei Pastellfassungen, darunter eine auf "98" datierte, heute in den Städtischen Kunstsammlungen Chemnitz. Im Mai 1899 kam das für Liebermanns Werkentwicklung bedeutende und exemplarische Gemälde erstmalig in der Berliner Secession zur Ausstellung. Für Hancke schon gehörte "dieses Bild, es gibt nur eine einzige Fassung davon, zum besten und charakteristischsten, was Liebermann gemalt hat." (Erich Hancke, Max Liebermann, Sein Leben und seine Werke, Berlin 1914, S. 380).

Dargestellt ist der sonntägliche Gang der Dorfbewohner zur Kirche, ein selbstverständlicher frommer Ritus, hier in der Frische eines Sommermorgens. Unter den hohen Bäumen der Straße glänzen die farbigen Lichter auf den hellen Hauben und Schürzen der Frauen und Mädchen, die ihre Gesichter zum Teil nach rechts in das seitlich einfallende Licht gewendet haben. Die stille Lebendigkeit der beobachteten Bewegung wird nicht zuletzt durch den gewählten Bildausschnitt begründet. Sie bietet dem Betrachter eine geschickte perspektivische Einsicht in die Tiefe des Bildraums, als stünde auch er auf dem ungepflasterten Weg und die Dorfbewohner, ein feierlicher "Zug der Generationen" (Eberle), kämen ihm entgegen. Die Straße von Laren mit den angrenzenden Gehöften, von denen nur die Dächer über die Hecken ragen, und die charakteristische Baumreihung hatte Liebermann in einigen motivlich verwandten Gemälden festgehalten (vgl. Eberle 1896/7-8, 1896/11 und 1898/5 "Sonntagnachmittag in Laren").

Für Erich Hancke war das Gemälde ein beispielhaftes Zeugnis für die Auseinandersetzung Liebermanns mit dem französischen Impressionismus. Ihm fiel einerseits in der zentralen, offensichtlich überarbeiteten Figurenpartie noch die unvermittelte Materialität der Farben auf und die Forciertheit ihres Auftrags, er spricht von den "schweren, bleiernen Schatten" und den "grellen, fleischroten Lichtern, die von der Kelle eines Maurers aufgetragen erscheinen". Daneben stünden "die beiden Seitenstücke, die vor der Natur hingeschrieben und nicht wieder angerührt worden sind. Die Landschaft zur Linken, das braunrote Dach mit den grünen Hecken und dem bläulichen Himmel darüber ist fein gemalt [...] Die rechte Seite dagegen, die sonnigen, zwischen den Baumstämmen hervorleuchtenden Gärten sind von neuer, eigentümlicher Schönheit. In einem glücklichen Augenblicke gelang es Liebermann hier das zu geben, was er in den meisten Arbeiten der Jahre vergeblich versucht hatte. Es ist die Antwort auf die Fragen, die das Problem des Impressionismus ihm stellte. Stärker als sonst sind hier die Farben. [...] Alles ist lebhaft und sprechend. [...] Es sind materiellere, gleichsam etwas von der Substanz der Dinge mitführende Farben. Aus diesen baut er nun eine Impression auf. Nicht wie die Franzosen planvoll Ton neben Ton stellend, sondern in suggestiven Andeutungen. Hier und dort leuchtet es auf, ein Braunrosa neben einem Saftgrün, ein Blaugrün neben einem Blaßviolett und gibt die intensive Vorstellung eines von der Morgensonne gestreiften Rasens und im Gebüsch versteckter, vom Schein des klaren Himmels überblauter Häuser. Dann aber, als hätte er es für nötig befunden, die Wirkung durch eine feste Masse zusammenzuhalten und abzustufen, stellt er mit wuchtigen braunen Strichen den dunklen Stamm eines Baumes davor. Es finden sich auch Stellen, wo die Farben durcheinanderflimmern, wie in dem Grün am Fuße der Stämme, doch das geschieht nur ganz flüchtig, denn die impulsive Schrift läßt sich durch kein Zerlegen beschränken, und sie erst macht die starken, unvermittelten Töne zum geschmeidigen Ausdruck der Erscheinung, einer Erscheinung jedoch, die durch das Bewußtsein der Bedeutung der Dinge subjektiv umgeschaffen ist." (Erich Hancke, op. cit., S. 380/381).

Werkverzeichnis

1899/1 Eberle

Provenienz

Siegfried Schocken, Berlin (1914); Leo Lewin, Breslau (1917, bis 1927); Zürich 1925 (zum Verkauf); Cassirer-Helbing, Berlin (1927); Privatbesitz, Zürich; ehemals Privatbesitz, Rheinland

Literaturhinweise

Aemil Fendler, Max Liebermann, in: Illustrierte Zeitung, Nr. 3105, 1.1.1903, S. 30; Erich Hancke, Max Liebermann. Sein Leben und seine Werke, Berlin 1914, S. 347 (erwähnt), 380 f., 538 (Werkkatalog), mit Abb. S. 377 und S. 379 (Ausschnitt); Karl Scheffler, Breslauer Kunstleben, in: Kunst und Künstler, Jg. XXI, 1922/1923, S. 111-133, 117 f. (Zitat nach Hancke); Erich Hancke, Max Liebermann. Sein Leben und seine Werke, Berlin 1923 (2. Auflage), S. 347 (erwähnt), 380 f., mit Abb. S. 377 und S. 379 (Ausschnitt); Max J. Friedländer, Max Liebermann, Berlin o.J. (1924), mit Abb. 47 S. 95; Kunst und Künstler, Jg. XXV, 1926/1927, mit Abb. S. 319; Hans Rosenhagen, Max Liebermann, Bielefeld-Leipzig 1927 (2. Auflage, Knackfuß Künstlermonographien, Band 45) , S. 68, vgl. S. 90 mit Abb. 95 (Zeichnung, Vorstudie zur alten Frau des Vordergrunds) und S. 88 Abb. 93 (Zeichnung, Vorstudie mit Allee und Figur der alten Frau)

Ausstellung

Berlin 1899 (Berliner Secession), 1. Ausstellung der Berliner Secession, 20.5.1899, Nr. 115 a; Berlin 1917 (Königliche Akademie der Künste), Max Liebermann, 70. Geburtstag, Nr. 122; Düsseldorf 1925 (Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen), Max Liebermann, Nr. 45; Zürich 1925 (Kunsthaus Zürich), Internationale Kunstausstellung im Kunsthaus Zürich, Aug./Sept. 1925, Nr. 258 (verkäuflich); Hamburg 1926 (Kunstverein Hamburg), Max Liebermann, Nr. 155; Berlin 1927 (Cassirer-Helbing), Auktion der Sammlung Leo Lewin, Breslau, Berlin 12.4.1927, Nr. 10 mit Abb. Tafel X; Bern 1937 (Kunsthalle Bern), Albert Welti - Max Liebermann, Nr. 155; Basel 1937 (Kunsthalle Basel), Max Liebermann. 1847-1935, Nr. 151; New York 1985 (Christie's New York), Auktion 24.5.1985, Nr. 58 mit Farbabb.