Dadaismus oder der Sinn des Unsinns
Dadaismus: Ist das Kunst oder kann das weg? Irritationen sind häufig Teil des künstlerische Programms. Deswegen ist es hilfreich, den Ursprung des Unsinns zu kennen: den Dadaismus. Der liefert nicht nur einen Reflexionseinstieg, sondern auch die Deutungshoheit. Denn: Wer dada kann, hat immer Recht, selbst wenn er nie die Wahrheit sagt.



Das Geheimnis des Dadaismus
Wenn Machthaber das Volk dazu bringen, freiwillig in den Krieg zu ziehen und die Menschen diesem Ruf auch noch mit Begeisterung folgen, dann ist das Ende jeder Vernunft erreicht. Auf die Massenmobilisierung des 1. Weltkriegs fanden die Künstler des Dadaismus deshalb eine Antwort: Man muss der Welt mit genau der Absurdität begegnen, aus der sie gemacht ist.
Als Hugo Ball 1916 sein berühmtes Café Voltaire in Zürich eröffnete, war das Publikum entrüstet: Das sollte Kunst sein? Bis dahin hatten die Künste für den bürgerlichen Betrachter das Schöne und Gute verkörpert. Jetzt wollte man ihm weismachen, dass ein Zettel genauso viel wert sei wie ein Gemälde. Das Publikum blieb argwöhnisch: Was hatte es noch mit Tanz zu tun, wenn sich der Tänzer in seinem Kostüm nicht einmal bewegen konnte? Oder Lyrik? Man verstand von den vorgetragenen Gedichten doch kein einziges Wort. Das waren ja nur noch aneinander gereihte Buchstaben. Und was sollte dieses Genre-Chaos überhaupt? War man in einer Galerie, in einem Theater oder doch im Irrenhaus gelandet?
Wenn das Publikum derart verwirrt wurde, war die die Strategie von Hugo Ball, Emmy Hennings, Tristan Tzara, Hans Arp oder Sophie Taeuber-Arp aufgegangen. Es war ihr Ziel, dass das Publikum verrückt zu machen, was für sie bedeutete, das etwas nicht mehr am selben Platz war wie bisher. Sie wollten irritieren, aufwühlen, provozieren. Sie wollten Unsinn verbreiten, um die Gläubigkeit an gängige Gesellschaftswerte zu erschüttern. Dafür nutzten sie alle Register des Humors und der Satire.
Dadaismus auf Erfolgskurs
Dadaisten sahen sich selbst nicht als Schöpfer einer neuen Kunstrichtung, schließlich lehnten sie jede Definition ab. Dennoch hatten sie großen Ehrgeiz neue Mitstreiter zu gewinnen. Und so breitete sich das Prinzip, alle Prinzipien so lange durchzukneten bis nur noch Unsinn übrig blieb, von Tokio bis New York auf der ganzen Welt aus. In Deutschland wurde der Künstler Kurt Schwitters aus Hannover ein wichtiger Vertreter des programmatischen Sinn-Verweigerung. Seine Plastik „Tänzer“ changiert zwischen Witz und Grauen, zwischen fröhlichem Tanzbein und Assoziationen an verstümmelte Gliedmaßen. In dieser Ambivalenz steckt Komik, die im gleichen Zuge grausam ist.

Dadaistisches Manifest
In Berlin nahm der Dadaismus mit George Grosz, Hannah Höch oder John Heartfield während der Weimarer Republik eine seiner extremsten Formen an. Hier veröffentlichte Richard Huelsenbeck 1918 sein „Dadaistisches Manifest“. Neben zahlreichen Nicht-Definitionen, bzw. Destruktionen gängiger Kunstbegriffe, forderte er darin unter anderem eine rückhaltlose Auseinandersetzung mit der brutalen Realität.
Die Dialektik des Dadaismus
Aus heutiger Sicht klingt das wenig innovativ, allerdings darf man nicht vergessen, dass die Künstler der damaligen Zeit einer strengen Zensur unterlagen. Die freie Rede als Grundwert einer Gesellschaft musste erst noch erkämpft werden. Statt Beifall drohten hohe Geldstrafen oder Gefängnis.
Wie bei einer selbsterfüllenden Prophezeiung wurde das Dadaistisches Manifest 1918 gleich nach der Veröffentlichung beschlagnahmt. Was natürlich keinen Sinn machte, schließlich stand darin, dass jeder, der gegen das Manifest sei, selbst Dada sei. Aber welches Dada? Ein wahrer Dadaist oder doch einfach nur ein Schwachkopf? Wer dazwischen keine Grenze mehr sieht, ist auf dem richtigen Weg die Dialektik des Dadaismus zu verinnerlichen.
Dadaismus und seine Folgen
Happening, Fluxus, Body Art, Performance – die Liste der Kunstrichtungen, die sich an den Dadaismus anknüpfen lassen, ist lang. Durch ihren Ansatz des think-out-of-the-box ist es den Dadaisten gelungen, den künstlerischen Möglichkeiten eine bis dahin nicht gekannte Freiheit zu eröffnen. Genauso ist es den Dadaisten zu verdanken, dass der Grad der Verstörung positiv bewertet wird. Der Betrachter darf sich erfolglos fragen, was Sinn und Zweck des Vorgeführten ist. Durch dieses irrende Suchen wird er nicht nur in den Rezeptionsraum der Kunst geworfen, sondern kriegt die Möglichkeit sich selbst in Frage zu stellen und damit neu zu erschaffen. Wie das funktioniert lässt sich wohl kaum besser zusammenfassen als mit dem Zitat von Francis Picabia: „Der Kopf ist rund, damit das Denken seine Richtung ändern kann.“ Gerade weil durch das Werk, in diesem Fall: den Satz, keine Logik entsteht, muss sich der Verstand neu sortieren, um das Gesagte in einen Kontext zu setzen.
Dadaismus beeinflusste aber nicht nur spätere Kunstrichtungen. Genauso findet man seinen ästhetischen Fußabdruck in populären Medien wie Film, Musik oder auch der Werbung. Wenn beispielsweise die Popsängerin Lady Gaga in extravaganten Kostümen auf die Bühne tritt, in denen sie sich nicht einmal bewegen kann, liegt die Referenz zu Hans Ball im Café Voltaire mehr als nahe. Genauso wenig ist es Zufall, dass gaga und dada phonetisch wie deskriptiv so nah beieinander liegen.



Marcel Duchamp und der Dadaismus
Der Künstler Marcel Duchamp darf als einer der wichtigsten Wegbereiter des Dadaismus bewertet werden. Durch seinen Ansatz der „Objet trouvé“ oder auch „Ready-Mades“ revolutionierte er den Kunstbegriff auf aberwitzige Weise. Sein Argument lautete, dass ein Kunstwerk nicht mehr geschaffen wird, sondern vom Künstler gefunden. Damit ersetzte er das Kunstwerk mit der Reflexion über das selbige. Diese Umwertung von Bedeutung machte ihn zum Helden der „Anti-Kunst“. Unvergessen bleibt das Werk „Fountain“ von 1917: ein signiertes Urinal, das bei seiner Präsentation einen Medienskandal nach sich zog und letztendlich in die Kunstgeschichte einging.

Auch wenn „Fountain“ das berühmteste Ready-Made ist, das erste ist es nicht. Duchamp erfand das Konzept 1913 mit seinem „Fahrrad-Rad“ und setzte es 1914 mit dem „Flaschentrockner“ fort. Gemeinsam mit dem Schriftsteller Octavio Paz griff er 1967 beide Objekte nochmal auf, indem er ihre Schatten kombinierte und in einen Siebdruck auf Acetatfolie verwandelte. Um den kompletten Schattenriss beider Plastiken an der Wand zu sehen, muss der in sechzehn Teile zerschnittene Siebdruck wieder zusammen gesetzt werden und entsprechend angeleuchtet. Duchamp reflektiert also wieder über die existenzielle Frage, ab wann ein Objekt als Kunstwerk gilt und welcher Wert im Zuge der Destruktion entsteht.
© Kunsthaus Lempertz
Kommende Auktionen - Dadaismus
Auktion 1224 - Day Sale - Moderne Kunst

Auktion
Mittwoch, 7. Juni 2023
11 Uhr: Lot 100 – 275
Vorbesichtigung
Donnerstag/Freitag, 1./2. Juni, 10 – 17.30 Uhr
Samstag, 3. Juni, 10 – 16 Uhr
Sonntag, 4. Juni, 11 – 16 Uhr
Montag, 5. Juni, 10 – 17.30 Uhr
Vernissage
Mittwoch, 31. Mai, 18 Uhr
Berlin, Poststr. 22 (In Auswahl)
Dienstag, 23. Mai, 10 – 21 Uhr
Mittwoch, 24. Mai, 10 – 17 Uhr
Vernissage
Dienstag, 23. Mai, 18 Uhr
Auction 1223 - Evening Sale - Moderne Kunst

Auktion
Dienstag, 6. Juni 2023
18 Uhr: Lot 1 – 97
Vorbesichtigung
Donnerstag/Freitag, 1./2. Juni, 10 – 17.30 Uhr
Samstag, 3. Juni, 10 – 16 Uhr
Sonntag, 4. Juni, 11 – 16 Uhr
Montag, 5. Juni, 10 – 17.30 Uhr
Vernissage
Mittwoch, 31. Mai, 18 Uhr
Berlin, Poststr. 22 (In Auswahl)
Dienstag, 23. Mai, 10 – 21 Uhr
Mittwoch, 24. Mai, 10 – 17 Uhr
Vernissage
Dienstag, 23. Mai, 18 Uhr
Unsere vergangenen Dadaismus-Auktionen
- Auktion 1212 - Day Sale - Moderne Kunst
- Auktion 1211 - Evening Sale - Moderne und Zeitgenössische Kunst
- Auktion 1201 - Day Sale - Moderne Kunst
- Auktion 1200 - Evening Sale - Moderne und Zeitgenössische Kunst
- Auktion 1188 - Day Sale - Moderne Kunst
- Auktion 1187 - Evening Sale - Moderne und Zeitgenössische Kunst
- Auktion 1178 - Day Sale - Moderne und Zeitgenössische Kunst
- Auktion 1177 - Evening Sale - Moderne und Zeitgenössische Kunst
Dadaismus Preise
Ein paar Beispiele für Dadaismus-Preise, die in Lempertz-Auktionen versteigert wurden:
Dadaismus | Auktion - Lot Nr. | Objekt | Preis |
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Dadaismus | Auktion 867 - Lot 1328 | Kurt Schwitters - Relief mit gelbem Viereck 2 | 1.428.000 € |
Dadaismus | Auktion 979 - Lot 271 | Kurt Schwitters - Dancer/Tänzer | 605.000 € |
Dadaismus | Auktion 1177 - Lot 22 | Max Ernst - Mer agitée, soleil, nuage et maître Corbeau avec son fils | 620.000 € |
Dadaismus | Auktion 1134 - Lot 285 | Kurt Schwitters - Das Gustav Finzlerbild | 496.000 € |
Dadaismus | Auktion 1134 - Lot 286 | Kurt Schwitters - Ohne Titel (Counterfoil) | 396.800 € |
Dadaismus | Auktion 896 - Lot 396 | Kurt Schwitters - 7. Abstrakte Komposition | 368.900 € |
Dadaismus | Auktion 891 - Lot 684 | Max Ernst - Barbares marchant vers l'ouest | 184.450 € |
Dadaismus | Auktion 932 - Lot 98 | Max Ernst - Nocturne I (Lueurs dans la nuit) | 156.000 € |
Dadaismus | Auktion 923 - Lot 1 | Hans Arp - Relief concret D | 96.000 € |
Dadaismus | Auktion 896 - Lot 158 | Hannah Höch - Angst | 24.990 € |
Dadaismus | Auktion 972 - Lot 106 | Marcel Duchamp - Rotoreliefs (Optical Disks) | 19.800 € |
Dadaismus | Auktion 1110 - Lot 382 | Marcel Duchamp - Rotoreliefs (Optical Disks) | 18.600 € |