Nan Goldin fotografiert den Zeitgeist, dokumentiert und porträtiert mit schonungsloser Offenheit eine Welt aus Drogen, Sex und Gewalt, in deren Mittelpunkt sie selbst steht. Das intime Bildwerk der amerikanischen Fotokünstlerin ist dabei eng verwoben mit ihrer persönlichen Biografie.



(...) WeiterlesenNan Goldin - Als unabhängige Amateurfotografin im Untergrund
Nan Goldin wurde am 12. September 1953 in Washington geboren. Ein tragischer Todesfall überschattete ihre Kindheit: Als ihre vier Jahre ältere Schwester Barbara Holly sich das Leben nahm, war Goldin gerade vierzehn Jahre alt, entschloss sich aber unter dem Eindruck des Erlebten, ihr Elternhaus frühzeitig zu verlassen. Sie zog in eine Wohngemeinschaft mit Freunden und begann, sich als Amateurfotografin zu betätigen. Dabei dienten ihr die jungen Männer und Frauen aus ihrer unmittelbaren Umgebung als Modelle; eine Arbeitsweise, die sie auch in späteren Jahren beibehielt. Sie könne nur jemanden fotografieren, für den sie auch etwas empfinde, erklärte Nan Goldin im Jahr 2010 – da war sie bereits eine international etablierte Fotokünstlerin. Der befreundete Fotograf David Armstrong führte sie in die homosexuelle und transsexuelle Szene ein, die zu Beginn ihrer Karriere in einer verborgenen Halbwelt, im Underground der amerikanischen Großstädte, ein oft ausschweifendes und rastloses Leben führte. Hier entdeckte Goldin ihre über viele Jahre gepflegte Vorliebe für Drag Queens, die sie vor allem in ihren frühen Jahren häufig porträtierte.



Durchbruch mit einer fotografischen Ballade über Sexualität
Nan Goldin entschied sich nach ihren ersten erfolgreichen Gehversuchen auf dem Feld der Fotografie für ein Studium an der School of the Museum of Fine Arts in Boston. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie bereits ihre ersten Bilder auf einer Ausstellung präsentieren können. Nach dem Abschluss ihres Studiums übersiedelte Nan Goldin 1978 nach New York, wo in den 1980er-Jahren ihr berühmtestes Werk, die Fotoserie The Ballad of Sexual Dependency entstand. Der Titel – auf Deutsch Die Ballade von der sexuellen Abhängigkeit – entstammt der Dreigroschenoper von Bertolt Brecht, der Inhalt war konzipiert als eine Art Familientagebuch, wobei die Familie in diesem Fall der Tribe, also der Stamm, der Künstlerin verkörperte. Die früheste Form des Werkes hatte Nan Goldin bereits 1979 im Mud Club in New York öffentlich präsentiert, es wurde aber in den folgenden Jahren von ihr erweitert und modifiziert. Zunächst handelte es sich vorwiegend um privat aufgenommene Schnappschüsse der Künstlerin von ihren Freunden und Bekannten aus dem New Yorker Transvestitenmilieu.



Künstlerische Teilhabe an Erotik, Intimität und Verzweiflung
Nan Goldin musste sich aufgrund ihrer intimen und ungeschönten Darstellungen der Realität von Schwulen, Lesben, Transvestiten und AIDS-Infizierten immer wieder auch mit dem Vorwurf der Sensationsgier und des Voyeurismus auseinandersetzen. Die Künstlerin begegnete derartiger Kritik aber mit der Erklärung, es handle sich bei den oft sehr direkten Aufnahmen um ihre Art von Familienbildern. Sie fotografiere und dokumentiere ein Milieu, zu dem sie selbst gehöre. Darum sei es ja gerade nicht der voyeuristische Blick des außenstehenden Fotografen, sondern die unmittelbare Teilhabe einer Betroffenen. Auch bei der Verbreitung ging Goldin neue Wege: Um ein möglichst breites Publikum zu erreichen, wurde das aufsehenerregende Projekt nach mehreren öffentlichen Präsentationen in Buchform veröffentlicht, wobei der Preis für eine derartige Publikation bewusst niedrig gehalten war. Das Buch enthielt zwar nur 125 der ursprünglich über 800 Fotografien, diese wurden aber von der Künstlerin handverlesen und in fester Reihenfolge zu sinnfälligen Gruppen angeordnet. Das zentrale Thema stellte dabei die Sexualität dar, die Goldin als verbindende Anziehungskraft zwischen unterschiedlichen Persönlichkeiten ausmachte. Eine Faszination, die für alle Beteiligten durchaus in die Verzweiflung führen konnte.
Aufsehenerregender Protest gegen die Mäzenatenfamilie Sackler
Nan Goldin hat im Lauf ihrer Karriere diese Verzweiflung und Leere auch auf schmerzhafte Weise selbst gekostet, sei es während der großen AIDS-Epidemie der 1980er-Jahre, in der sie viele ihrer Freunde verlor, oder während ihrer eigenen Drogensucht. Nachdem sie ihre erste Abhängigkeit überwunden hatte, geriet sie nach der Einnahme des umstrittenen Schmerzmittels Oxycontin wieder in den Einfluss der Rauschmittel. Als Folge ihrer erneuten Entziehungskur engagiert sich die Künstlerin seither auf breiter Front gegen den Hersteller des Medikaments, das US-Pharmaunternehmen Purdue und dessen Eigentümerfamilie Sackler. Publikumswirksame Protestaktionen führte Goldin im Metropolitan Museum of Art und im New Yorker Guggenheim durch. Pikant: Die Familie Sackler fördert zahlreiche Kunstinstitutionen mit Millionenbeträgen – Goldin und ihre Mitstreiter wollen, dass diese erheblichen Summen stattdessen in die Behandlung von Suchtkrankheiten investiert werden.
Nan Goldin lebt und arbeitet heute überwiegend in New York.
Nan Goldin - Werke, die bereits im Kunsthaus Lempertz verkauft wurden: