André Kertész war Wegweiser und Grenzgänger; der gebürtige Ungar schaffte mit spielerischer Leichtigkeit den schweren Spagat zwischen Surrealismus und Neuer Sachlichkeit und bewahrte dabei stets die intuitive Spontanität, die den wahrhaft begabten Künstler auszeichnet. So prägte er bis zu seinem Tod über mehrere Jahrzehnte hinweg den Stil der künstlerischen Fotografie.
(...) WeiterlesenAndré Kertész - Fotografische Streifzüge durch Budapest, Zeuge des Krieges
André Kertész wurde am 2. Juli 1894 in Budapest, damals noch Teil von Österreich-Ungarn, geboren. Der zweite von drei Söhnen des jüdischen Buchhändlers Lipót Kertész und seiner Frau Ernesztin sollte nach dem Willen des Vaters Bankier werden und besuchte zu diesem Zweck die Handelsakademie, die er nach erfolgreichem Abschluss 1912 verließ, um an der Börse zu arbeiten. Im selben Jahr kaufte er seine erste Kamera, ein billiges Modell, und übte sich als Autodidakt in der Fotografie. Bei seinen Streifzügen durch die Straßen Budapests entstand eines seiner frühesten Bilder: Schlafender Junge. Als er 1915 als Soldat im Ersten Weltkrieg nach Italien, Bosnien, Albanien und Rumänien kam, hatte er seine Kamera dabei und dokumentierte den Alltag des Krieges. Schon diese frühen, unter widrigen Bedingungen entstandenen Arbeiten deuten das große kompositorische Talent des Bildersuchers Kertész an. Bereits 1916 wurde er für ein Selbstporträt erstmals mit einem Preis bedacht, es sollte nicht der letzte bleiben. Im Jahr 1917 konnte er seine ersten Fotos in der Zeitschrift Érdekes Újság veröffentlichen. Nach den frühen Erfolgen musste André Kertész jedoch einen empfindlichen Rückschlag verarbeiten: 1918 ging der größte Teil seiner Abzüge und Negative (die damals noch auf Glas gespeichert waren) verloren. Der Künstler ließ sich davon jedoch nicht entmutigen und machte weiter – nicht in Budapest, sondern in Paris.
Schwierige und erfolgreiche Jahre in Paris
In Paris hoffte André Kertész darauf, seine Fotografien an die zahlreichen Illustrierten zu verkaufen, deren wachsender Erfolg den Bedarf an guten Bildern mit sich brachte. Doch trotz freundschaftlichen Umgangs mit Künstlern wie Piet Mondrian, Fernand Léger, Man Ray und Brassaï fiel es dem jungen Fotografen aus Ungarn recht schwer, in der französischen Kulturmetropole Fuß zu fassen. Das war wohl auch der Natur seiner Bilder geschuldet: Sie besaßen oft, vielleicht allzu oft, eine düstere Anmutung, waren häufig im Regen aufgenommen und zeigten Pariser Straßenszenen, das Leben von Arbeitern, das Treiben von Nachtschwärmern. Kertész beteiligte sich am Salon de l'Escalier und arbeitete für das von Lucien Vogel gegründete, großformatige Fotomagazin VU. Unter künstlerischen Aspekten waren diese Arbeiten von André Kertész so enorm stilbildend, dass heutige Betrachter das Revolutionäre kaum mehr wahrnehmen – zu selbstverständlich ist die Technik des innovativen Ungarn modernen Fotografen geworden. 1929 konnte er seine Arbeiten an Museen in Berlin und Zwickau verkaufen.
Flucht nach New York, internationaler Durchbruch
Die Umtriebe der Nationalsozialisten trieb den Juden André Kertész nach New York, wo er eine lukrative Anstellung bei der Agentur Keystone in Aussicht hatte. Gemeinsam mit seiner Frau folgte er dem Ruf, musste aber enttäuscht feststellen, dass die versprochene Arbeit als Fotograf lediglich aus faden Auftragsarbeiten bestand und sich niemand für seine künstlerischen Projekte interessierte. Ein weiterer Rückschlag war der nochmalige Verlust seiner Negative, die er in Paris hatte zurücklassen müssen und dort den Kriegswirren zum Opfer gefallen waren. Von 1949 bis 1962 arbeitete André Kertész nahezu exklusiv für den in New York ansässigen Condé-Nast-Verlag, ehe ihn gesundheitliche Schwierigkeiten dazu zwangen, sein festes Engagement zu beenden. Trotzdem blieb er bis zu seinem Tod künstlerisch tätig, den internationalen Durchbruch brachte ihm eine 1964 von John Szarowski kuratierte Ausstellung im Museum of Modern Art in New York. Fortan konnte sich Kertész frei von allen finanziellen Sorgen ganz seinen künstlerischen Ambitionen widmen.
André Kertész starb am 27. oder 28. September 1985 in New York City.
André Kertész - Werke, die bereits im Kunsthaus Lempertz verkauft wurden: