Heinrich Kühn war nicht für schnelle Schnappschüsse bekannt. Solche wären zwar technisch zu seiner Zeit auch kaum möglich gewesen, der eigentliche Grund für sein stundenlanges Suchen nach der richtigen Einstellung aber war seine unstillbare Sehnsucht nach Perfektion. Sie beherrschte sein ganzes Leben und machte ihn zu einem der bedeutendsten Vertreter der Kunstfotografie.
(...) WeiterlesenHeinrich Kühn standen viele Türen offen
Als Heinrich Kühn am 25. Februar 1866 in Dresden geboren wurde, stand bereits fest, dass der Enkel des Bildhauers Christian Gottlieb Kühn sich um seine Zukunft kaum zu sorgen brauchte. Seine Familie verfügte über ein gewisses Vermögen, dem jungen Heinrich standen viele Türen offen. 1885 begann er ein Studium der Medizin und Naturwissenschaften in Leipzig, Berlin und Freiburg. Schon früh galt sein privates Interesse der Fotografie, zu dieser Zeit ein kostspieliges Hobby, das nur dem Sohn einer wohlhabenden Großbürgerfamilie möglich war. Als gesundheitliche Gründe ihn daran hinderten, den angestrebten Arztberuf auszuüben, verlegte er sich in seiner neuen Heimstatt Innsbruck kurzerhand ganz aufs Fotografieren und experimentierte wissbegierig mit verschiedenen Techniken. Rasch stellten sich erste Erfolge ein, fruchtbare Künstlerfreundschaften mit Starfotografen wie Alfred Stieglitz waren die Folge, mit den Wiener Fotokünstlern Hans Watzek und Hugo Henneberg bildete er die Gruppe "Trifolium" (Kleeblatt).
Die Wirklichkeit Heinrich Kühns war ein Traum
Heinrich Kühn schuf prachtvolle Gemälde, ohne dafür einen Pinsel in die Hand zu nehmen. Dieses Ziel erreichte er durch eine akribische Komposition der Szenerie, bei der er nichts dem Zufall überließ. So legte er genau fest, welche Kleidung seine Modelle zu tragen hatten, welche Stellung sie einnehmen mussten und wartete mit ihnen oft stundenlang auf die richtige Lichtstimmung. Für ihn eine kaum zu bändigende Leidenschaft, für seine Modelle eine unerträgliche Zumutung. Eine Zumutung, die vor allem seine Familie ertragen musste; insbesondere seine Kinder zählten zu seinen bevorzugten Motiven. Nach dem Tod seiner Frau war es die Nanny und Haushälterin Mary Warner, die ihm als Muse und Geliebte ungezählte Stunden geduldig Modell stand. Die Traumwelt aus Farben und sanften Konturen gab es in der Wirklichkeit nicht. Details, die ihm unwichtig schienen, ließ er mit Absicht im Hintergrund verschwimmen. Heinrich Kühn zeigte nicht die Welt, wie sie war, sondern wie er sie sehen wollte. Etwas, das eigentlich der Malerei vorbehalten schien, gelang ihm mithilfe der Fotografie, die er unbedingt den anderen Künsten gleichstellen wollte.
Am Ende holte die Realität Heinrich Kühn ein
Die Wirklichkeit, die Heinrich Kühn zeit seines Lebens mit seinen ätherischen Bildern zu überwinden trachtete, holte ihn unbarmherzig ein: Der Erste Weltkrieg beraubte ihn seines Vermögens, das er in Kriegsanleihen investiert hatte. Der an Geldsorgen nicht gewöhnte Künstler stand vor den Trümmern seiner Existenz. Es ist vielleicht die besondere Tragik im Leben Heinrich Kühns, dass dem besessenen Perfektionisten am Ende seines Lebens das Gespür für die richtige Farbstimmung verloren ging. Sein künstlerisches Spätwerk fand kaum Beachtung, seine persönliche Lebenswelt versank in Braun und Schwarz. 1938 trat er in die NSDAP ein; es drohte der schlimmste Tod des Künstlers: das Vergessen. Am 14. September 1944 starb Heinrich Kühn im österreichischen Birgitz, in seinem erzwungenen Exil auf dem Land.
Die bildgewaltigen Träume Heinrich Kühns wurden schließlich doch dem Dunkel entrissen: Die Albertina Wien widmete dem vergessenen Pionier der Kunstfotografie 100 Jahre nach seinem Wirken zum ersten Mal eine eigene, große Ausstellung: "Heinrich Kühn: Die vollkommene Fotografie".
Heinrich Kühn - Werke, die bereits im Kunsthaus Lempertz verkauft wurden: