Dieter Roth wusste mit Schönheit, zumal bleibender, nicht viel anzufangen; der Schweizer Objektkünstler schätzte den allmählichen Zerfall, arbeitete mit Maden, Motten und Schimmelpilzen, setzte auf alles, was normalerweise den Einsatz von Reinigungskräften und Kammerjägern provoziert.
(...) WeiterlesenDieter Roth - Ausbildung zum Werbegrafiker, Schritt in die Selbstständigkeit
Dieter Roth wurde am 21. April 1930 in Hannover als Karl-Dietrich Roth geboren. Sein Vater war Schweizer, seine Mutter Deutsche. Mit seinem Namen ging der Künstler stets ungezwungen um, mal signierte er seine Werke als "Diter Rot", dann verwendete er spontan kreierte Fantasie-Pseudonyme, oder eben einfach Dieter Roth – der Name, unter dem er bekannt wurde. 1943 floh er – zunächst ohne seine Eltern – aus dem nationalsozialistischen Deutschland nach Zürich, wo er bei Pflegeeltern unterkam und erste künstlerische Erfahrungen mit Radierungen, Ölgemälden und Gedichten sammelte. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging Roth bei dem Grafiker Friedrich Wüthrich in Bern in die Lehre. Eine Anstellung als Werbegrafiker zu finden, erwies sich in der wirtschaftlich schwierigen Nachkriegszeit allerdings als unmöglich und Dieter Roth wagte den Schritt in die Selbstständigkeit. Diese führte ihn 1955 nach Kopenhagen, wo er Textilmuster entwarf, dann nach Island, Amerika und schließlich wieder Deutschland. Island, Deutschland und die Schweiz bildeten ein Dreieck von Bezugspunkten, zwischen denen der Künstler zeitlebens hin- und herwechselte. Mit dem isländischen Poeten Einar Bragi gründete er sogar den Verlag "Forlag Editions", in dem einige Schriftwerke von Roth erschienen sind.
Dieter Roths organische Kunst feiert die Ästhetik des Zerfalls
In den 1960er Jahren beteiligte sich Roth an verschiedenen Happenings, für die er aus organischem Material Objekte schuf, deren natürlicher Zerfall Teil seiner Kunstperformance wurde. Er goss seine Werke aus Schokolade und ließ diese von Schokoladenmotten zerfressen. Er gestaltete Bilder aus Schimmel- und Gewürzschichten, arbeitete mit Daniel Spoerri und André Thomkins auf dem Gebiet der Eat-Art – und hatte Erfolg. 1967 machte er die Bekanntschaft der feministischen Künstlerin Dorothy Iannone, die seine Lebensgefährtin wurde und eine fruchtbare Künstlerbeziehung mit ihm führte. In New York arbeitete Dieter Roth mit der von George Maciunas begründeten Fluxus-Bewegung zusammen, konnte sich mit deren Begeisterung für die Askese aber nicht anfreunden. Die Maden und Käfer, die seine aus Lebensmitteln zusammengesetzten Kunstwerke befielen, nannte Roth liebevoll seine "Mitarbeiter", Maßnahmen zur Konservierung oder Restauration seiner Werke lehnte er ab – der Tod des Werks war Teil seiner Kunst. Seine Nachbarn strengten Prozesse wegen Geruchsbelästigung an und ließen das Atelier des Künstlers räumen. Ungeachtet dieser Querelen erhielt Dieter Roth mehrere Lehraufträge und nahm zweimal an der Documenta in Kassel teil.
Schonungslos offen, von Ehrgeiz zerfressen, Vorbilder als Feindbilder
Bemerkenswert ist die schonungslose Offenheit, die Dieter Roth immer wieder in Interviews an den Tag legte. Ungeschönt sprach er in mehrstündigen Gesprächen davon, dass er von Ehrgeiz geradezu zerfressen sei und seine Vorbilder als Feinde empfinde, die es zu überwinden gelte. Im Gegensatz zu vielen anderen Prominenten legte Roth größten Wert darauf, dass seine oft über mehrere Tage und viele Stunden hinweg geführten Interviews vollständig und ungeschönt veröffentlicht wurden; auch die Versprecher, Pausen und kleinen Missgeschicke, die beim Redigieren üblicherweise ausgemerzt werden, verkörperten für Dieter Roth einen unverzichtbaren Teil des Gesamtbildes, das er von sich und seiner Kunst zeichnen wollte. Parallel schrieb der Künstler mit großer Rastlosigkeit gleichzeitig an mehreren Tagebüchern, in denen er auch viele spontane Ideen festhielt. Dabei schienen ihm Wörter nur als "minderwertige Bilder", die oft genug den Blick auf seine eigentliche Kunst verstellten. Dieser Vorbehalt hinderte ihn aber nicht daran, eigene Bücher mit gesammelter Lyrik und Prosa zu veröffentlichen, die nach seinem Tod sogar von Interpreten wie Andreas Dorau, Mouse on Mars oder Stereo Total vertont wurden. Dieter Roth starb am 5. Juni 1998 in Basel.
Dieter Roth - Werke, die bereits im Kunsthaus Lempertz verkauft wurden: